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Politische Ökonomie der Währungsunion

von Hans-Peter Nissen (Juni 1990)

in Studien von Zeitfragen 3/1990 (Oktober 1990)



l. Nur die Gedanken sind frei...

 Noch ist die deutsch-deutsche Währungsunion nur ein hochinteressantes Thema für Ökonomen und Politiker - doch bald schon wird sie eine politische sowie ökonomische Realität darstellen mit hochbrisanten Konsequenzen. Diese beziehen sich fast ausschließlich auf die beteiligten Volkswirtschaften der BRD und DDR und auf die Entwicklung der knrrespondierenden politischen Strukturen.

 Zum Verständnis dessen. was im Zuge dieses einmaligen Konvergenzprozesses zu erwarten ist, werden u. a. die Erfahrungen herangezogen. die die BRD mit der Währungsreform 1948 gesammelt hat. Die Diskussion, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaften geführt wird, um eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu begründen und schließlich die Erfahrungen, die die Volkswirtschaften mit festen Wechselkurssystemen bisher gemacht haben. Um nicht Gefahr zu laufen, Ökonomie begnüge sich mit Modellschreinerei und pingeliger, doppelter Buchhaltung, die lediglich Kosten und Nutzen säuberlich addiert, darf die politische Dimension nicht fehlen. Und zum besseren Verständnis der Politik liefert die Ökonomie allerdings geeignete Analyseraster.

  Unsere Aufgabe wird es also sein, aus den genannten Elementen ein politökonomisches Mosaik zusammenzusetzen, das - aus einer gewissen kritischen Distanz heraus betrachtet - die Konturen der deutsch-deutschen Währungsunion abbildet. Denn nur die Gedanken sind frei. Die Umsetzung hat Folgen...


2. Die deutsche Währungsreform - Vorbild, Nachbild, Abbild

 Die Währungsreform 1948 war Dreh- und Angelpunkt für die Transformation einer zentralistischen Kriegswirtschaft in eine dezentrale Marktwirtschaft. Der Währungsschritt von 1:10 (DM: Reichsmark) beseitigte den während der Kriegsjahre akkumulierten Kaufkraftüberhang, die Liberalisierung des Außenhandels bereitete die Konvertibilität der DM vor. Die Volkswirtschaft sollte bei innerer Stabilität in die weltwirtschaftliche Integration hineinwachsen. Das Wirtscheftswunder gelang, warum sollte man es nicht wiederholen!

 Die Währungen der europäischen Volkswirtschaften waren in der Nachkriegszeit (und noch bis 1973) in einem System prinzipiell fester Wechselkurse miteinander verbunden, Am grünen Tisch der Währungsreformplaner wurde 1948 für die DM ein Wechselkurs von 3,33 DM / US$ errechnet und verbindlich festgelegt. Schnell zeigte sich. daß die damaligen Westzonen in ein hoffnungsloses Zahlungsbilanzdefizit gerieten. das nur mit Hilfe von Dollarkrediten des Marshall-Plans sowie Zahlungsbilanzkrediten der Europäischen Zahlungsunion (EZU) vorübergehend zu decken war.

 Erst die Abwertung der DM auf 4,20 DM / US$ und die mit großer Kontinuität betriebene inflationsscheue Stabilisierungspolitik der Bank Deutscher Länder sowie anschließend der Deutschen Bundesbank ermöglichten den Umschwung von einem strukturellen Defizitland zu einem Überschußland! Dieses hatte in der damaligen Wirtschaftssituation weitgehend positive Konsequenzen: die devisenschwache BRD vermochte im Laufe der Jahre und Jahrzehnte einen großen Bestand an Währungsreserven zu akkumulieren.

 Dank der seit Anfang der 50-er Jahre permanent unterbewerteten DM vermochte die Exportindustrie überproportional zu expandieren und die gesamte Volkswirtschaft in die Vollbeschäftigung hineinzuziehen.
Mit den Exporten von Gütern exportierte die BRD auch einen Teil ihrer Beschäftigungsprobleme. Die Exporte der BRD konnten bei dem unterbewerteten Wechselkurs weit über das Niveau ansteigen, welches bei einem niedrigeren aber gleichgewichtigen Wechselkurs möglich gewesen wäre, denn für das Ausland waren die deutschen Waren konkurrenzlos billig (siehe auch Schaubild 1).

  

 

  

 Umgekehrt waren die Auslandsgüter für deutsche Nachfrager relativ teuer, so daß die heimische Industrie (dank der Wechselkurssubventionen) such potentielle Importe durch preisgünstigere Eigenproduktion substituieren konnte. Die Konsequenz war: die heimische Industrie konnte ihre Produktion und Beschäftigung auf der ganzen Breite der handelbaren Güter steigern, die Regierung konnte dadurch die drängendsten wirtschaftlichen Probleme lösen und die Bundesbank freute sich über ihr mit den Währungsreserven wachsendes Ansehen.

 Diese strukturelle Unterbewertung der DM kontrastiert aufs Schärfste mit der bei einem Umtauschkurs von 1:1 von Anfang an strukturell überbewerteten Ost-Mark. Denn auch dann, wenn die Ost-Mark als Währungs- und Recheneinheit aufhört zu bestehen, unterliegt jetzt schlagartig die gesamte DDR-Wirtschaft dieser Währungsrelation. Und da die DM eine voll konvertible und darüberhinaus noch starke Währung ist. wird die DDR-Wirtschaft mit sofortiger Wirkung bei Einführung der Wahrungsunion einem umfassenden internationalen Wettbewerb ausgesetzt.

 Anders als die bundesdeutsche Wirtschaft, die in die internationale Arbeitsteilung hineinwuchs und dann mit der weltwirtschaftlichen Entwicklung Schritt hielt, wird die DDR-Wirtschaft einer Schocktherapie ausgesetzt, auf die sie jedoch in keinerlei Hinsicht vorbereitet ist.

 Daß die Währungsrelation 1:1 unrealistisch ist, muß nicht am grünen Tisch errechnet werden. Zwar gibt es für die Ost-Mark keine repräsentativen Devisenmärkte, jedoch überall, wo sie gehandelt wird (Berlin, Zürich), liegen die Notierungen deutlich höher. Ein realistisches Tauschverhältnis dürfte eher zwischen 1:3 und 1:5 liegen. Das überbewertete Tauschverhältnis von 1:1, so sehr es die DDR-Bürger als Konsumenten freut, wird der DDR-Wirtschaft und damit den DDR-Bürgern als Arbeitnehmer die allergrößten Probleme bereiten.

 Der Wettbewerbsdruck aus der BRD und damit der gesamten Weltwirtschaft führt notwendigerweise zum abrupten Zusammenbruch ganzer Industriebranchen. Zwei sich verstärkende Effekte sind dafür verantwortlich (siehe Schaubild 2):

  

 

 Angenommen, der DDR-Devisenmarkt wäre bei einem Wechseikurs von 1:5 im Gleichgewicht, d. h. die DDR-Wirtschaft würde genau so viel Güter exportieren können, wie sie importiert, dann bewirkt der niedrigere Kurs 1:1, daß viele Güter, die zuvor in Eigenproduktion hergestellt wurden, nunmehr preiswerter importiert werden. Bei diesem günstigen Kurs präferieren die DDR-Bürger halt Westwaren. Die eigene Industrie muß die Produktion einstellen und Arbeitskräfte entlassen. Umgekehrt ist die Exportindustrie kaum in der Lage, ihre Güter zu diesem niedrigen Preis herstellen zu kännen. Selbst bei höheren Preisen hätte sie aufgrund der geringen Qualität erhebliche Absatzprobleme, zumindest auf den Markten der Industrieländer. Auch hier ist mit dem Konkurs ganzer Branchen zu rechnen. Selbst die Musterwerke, wie z. B. der Computerhersteller Robotron dürfte unter Weltmarktbedingungen sang-und klanglos Konkurs machen.

 Die industrieautarke Produktionsweise der DDR steht der weltweiten Arbeitsteilung multinationaler Konzerne hilflos gegenüber. Während westdeutsche Computerhersteller ihre Festplatten in Korea, ihr Laufwerk in Taiwan und ihre Chips in Japan einkaufen und vielleicht in Singapur montieren lassen, um sämtliche Lohnkosten- und sonstigen Produktionsvorteile auszunutzen, produziert die elektronische Industrie der DDR weitgehend sämtliche Inputs selbst. Darüber hinaus ist ihr neuestes Computermodell nach westlichem Standard bereits technologisch überaltert; hierzulande ist man zwei Computergenerationen weiter.

 

 Die auch nach der Währungsunion bestehenden Lohndifferenzen zur DDR vermögen die Gesamtheit aller Kostennachteile nicht auszugleichen, zumal in vielen Bereichen nicht das hohe Lohnniveau der BRD der Referenzmaßstab ist, sondern das Lohnniveau in Korea, Taiwan, Singapur... Die Computerindustrie in der BRD verfügt über genügend freie Ressourcen, den DDR-Markt mit ein paar Zusatzschichten voll bedienen zu können.

 Am Beispiel der Automobilindustrie läßt sich ein ähnliches Ergebnis diagnostizieren. Die Produktionsweise der DDR-Automobilindustrie ist vollkommen überaltert. Die Modelle sind technologische Ladenhüter. Auch hier gilt, daß der verhältnismäßig kleine Markt der DDR von der Automobilindustrie der Bundesrepublik und der EG problemlos mitbeliefert werden könnte. Drei Arbeitstage der europäischen Automobilindustrie decken die Jahresproduktion der DDR-Industrie ab.

 Für Direktinvestitionen in der DDR sind derzeit keine komparativen Kostenvorteile ausfindig zu machen. Die Infrastruktur der DDR ist miserabel. Marktwirtschaftliche Funktionsweisen sind unbekannt. Das Staatssystem ist ineffizient. Die geringen Löhne korrespondieren mit der geringen Produktivität. Auf welche realökonomischen Anreize gründet sich die Vermutung, daß ein multinationaler Konzern den Standort DDR etwa dem Standort Südkorea vorziehen müßte? Das Industrieinteresse der BRD wird sich vorerst auf den Absatzmarkt konzentrieren.

  Die DDR-Wirtschaft hat vornehmlich Expansionsmöglichkeiten im Sektor der nicht handelbaren Güter, weil sie dort nicht dem internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt ist. Handel, Handwerk, Bauwirtschaft, Dienstleistungen werden expandieren. Diese neuen und wachsenden Sektoren sind aber nicht imstande, die Arbeitskräfte aus den zusammenbrechenden Industriebranchen absorbieren zu können. Das Land wird real mit einer großen Arbeitslosigkeit und sinkendem lnlandsprodukt die Anpassungskosten an die Währungsunion tragen müssen.

 Auf die westdeutsche Industrie hingegen kommt ein neuer Absatzmarkt zu, der hierzulande die Beschäftigung erhöhen wird und zu Einkommenssteigerungen beitragen wird. In einigen Branchen, die bereits jetzt an der Kapazitätsgrenze arbeiten, wird es zu Preissteigerungen kommen. Die Bundesbank mag diese Preissteigerungen durch Erhöhung der Zinssätze zu dämpfen versuchen, wodurch die Kapitalzinsen insgesamt auf ein höheres Niveau geschraubt werden. Diese Effekte verteilen sich auf die gesamte Wirtschaft und sind nicht zu vergleichen mit den realen Anpassungskosten der DDR.


3. Europäische Währungsunion
– ein Lehrstück für die deutsche Währungsunion

 Ökonomische und politische Konsequenzen sowie Voraussetzungen einer Währungsunion wurden in vergangenen Jahrzehnten intensiv im Kontext einer europäischen Währungsunion und der angestrebten politischen Union diskutiert. Schon im Jahre 1969 wurde mit dem Versuch begonnen, der EG neuen ökonomischen und politischen Schwung zu geben: mit dem Vorschlag, die europäische Währungsunion innerhalb einer Dekade - also bis spätestens 1981 - zu vollenden.

 Der sogenannte Werner-Plan versuchte einen Kompromiß zwischen den Vorschlägen der Fiskalisten und Monetaristen zu finden. Der Standpunkt der Monetaristen, insbesondere von Frankreich und Belgien vertreten, beinhaltete, die Währungsunion an den Beginn der weiteren Integrationsbemühungen zu stellen. Das heißt, man versprach sich von einer einheitlichen europäischen Währung bzw. fester Wechselkursverhältnisse zwischen den Nationalwährungen einen geeigneten Motor, der die Harmonisierung der übrigen Wirtschaftspolitiken, wie Beschäftigunspolitik, Einkommenspolitik und Wachstumspolitik sowie die entsprechenden Fiskal- und Geldpolitiken, harmonisiert. Demgegenüber vertraten die sogenannten Fiskalisten, die insbesondere durch die Bundesrepublik und die Niederlande repräsentiert waren, die Meinung, daß zunächst die Wirtschaftspolitiken aufeinander abgesteimmt und harmonisiert werden müssen, bevor an eine einheitliche europäische Währung (oder ersatzweise unverrückbar feste Wechselkursrelationen) zu denken ist. Diese könnte erst zum Abschluß, zum Höhepunkt des Integrationsprozesses, eingeführt werden. Diese sogenannte Krönungstheorie verlangt mithin von den europäischen Nationalstaaten ein Vorabbekenntnis des politischen Willens zu einer insgesamt inflationsfreien und aufeinander abgestimmten Wirtschaftspolitik.

 Die deutsch-deutsche Währungsunion ist eine Umsetzung der monetaristischen Vorschläge. Mit Einführung der Währungsunion werden die geldpolitischen Entscheidungsbefugnisse von der DDR and die Deutsche Bundesbank abgetreten und es steht zu erwarten, daß die weiteren entscheidenden Wirtschaftspolitiken im Prinzip von Bonn gesteuert werden. Die Gefahr uneinheitlicher Politikvorstellungen der Mitglieder dieser Union ist damit von vornherein ausgeschlossen. Eine verstärkte Inflationsgefahr ist mithin nicht gegeben. Andere Konsequenzen sind damit jedoch nicht ausgeschlossen. Die Idee einer europäischen Währungsunion ist insbesondere in der zweiten Hälfte der achtziger von Delors wieder in die politische Diskussion eingebracht worden. In diesem Plan zur europäischen Währungsunion finden sich viele Elemente des bundesrepublikanischen Finanzsystems wieder. So z. B. schlägt auch Delors eine unabhängige europäische Zentralbank vor. die von einem Gouverneursrat der Zentralbanken der Nationalstaaten gesteuert wird.

  Diese europäische Zentralbank soll wie die Deutsche Bundesbank primär der Geldwertstabilität verpflichtet sein. ln diesen Verhandlungen vertritt die deutsche Seite noch immer die Krönungstheorie.

 

Diese europäische Zentralbank
soll wie die deutsche
Bundesbank primär der
Geldwertstabilität verpflichtet sein
.

Insbesondere nach der EG-Erweiterung um die struktur- und wirtschaftsschwachen Südstaaten Griechenland, Portugal, Spanien steht zu befürchten, daß eine sofortige Währungsanbindung diesen Ländern ein zentrales wirtschaftspolitisches Instrument aus der Hand nimmt, nämlich den Wechselkurs. Damit können diese Länder auftretende Defizite ihrer Zahlungsbilanz nicht mehr über Wechselkursanpassungen regulieren. Die defizitären Zahlungsbilanzsituationen würden sich verfestigen und strukturell werden. Das bedeutet für die betroffenen Länder, daß sie Wachstums- und Beschäftigungseinbußen hinnehmen müßten.

 Für die wirtschaftsstarken Mitgliedsländer der EG entsteht daraus jedoch die Verpflichtung, mit Regionalfonds und Strukturhilfefonds Unterstützungszahlungen leisten zu müssen. Diese sind bei einer festen Wechselkursanbindung (oder gar Währungsunion) um ein Vielfaches höher, als wenn die strukturschwachen Länder mit Hilfe von Abwertungen (d. h. Wechselkursänderungen) einen Teil ihrer Strukturschwäche selbst bekämpfen könnten. Da die Bundesrepublik ohnehin der einzige nennenswerte Nettozahler der europäischen Gemeinschaft ist, kämen auf sie unübersehbare zusätzliche Zahlungsverpflichtungen zu. Es war daher ökonomisch verständlich, diese Zahlungsforderungen mi Hilfe des Festhaltens an der Krönungstheorie zu vermeiden, zumindest hinauszuschieben.

  Diese auf europäischer Ebene geführte Argumentation bleibt cum grano salis auch für die deutsch-deutsche Währungsunion von Bestand. Die feste Wechselkursanbindung im Verhältnis 1:1 gibt der DDR-Wirtschaft keine Chance, die ohnehin vorhandene industrielle Strukturschwäche durch Wechselkursanpassungen abfedern zu können und die strukturellen Verbesserungen damit zeitlich zeitlich zu strecken.

  Auf der anderen Seite müssen zur Finanzierung dieser Strukturschwächen (um nicht zu sagen des industriellen Zusammenbruchs und anschließenden Wiederaufbaus) enorme Regionalförderungs- und Strukturförderungsprogramme durch die Bundesrepublik finanziert werden.

 Diese sind desto höher, je weiter der 1:1 Wechselkurs von einem »gleichgewichtigen« Wechselkurs entfernt ist. Ein Wechselkursverhältnis von 1:5 beispielsweise würde einerseits der DDR-Industrie eine höhere internationale Wettbewerbschance einräumen und die ohnehin auftretenden lndustriezusammenbrüche nicht wechselkurspolitisch verstärken. Andererseits würden die dadurch verbesserten Produktionsmöglichkeiten (erhöhte Exporte, verringerte Importe erhöhen beide die DDR-interne Produktion im Vergleich zum Wechselkurs von 1:1) Finanzierungshilfen aus der BRD reduzieren. Der industrielle Umbruch in der DDR würde zeitlich gestreckt werden.

 Allerdings muß die BRD die Finanzierung der Zahlungsbilanzdefizite, der Haushaltsdefizite, der Arbeitslosigkeit, der Rentenzahlungen in der DDR, weitgehend übernehmen. Hinzu kommen Finanzleistungen für den Aufbau einer modernen Infrastruktur (Bahn, Prost, Straßen-, Flugverkehrsnetze), öffentliche Verwaltungsstrukturen, Umweltschutz usw. Zur Finanzierung dieser finanziellen Belastungen können von der Bundesrepublik mehrere Instrumente eingesetzt werden:

 Haushaltseinsparungen und Haushaltsumschichtungen, Steuerfinanzierung und/oder Kreditfinanzierung. Die Wahl dieser Instrumente dürfte eher wahlpolitisch als wirtschaftspolitisch getroffen werden. Sie hat. wie noch zu zeigen sein wird, erhebliche Implikationen innerhalb des politökonomischen Szenarios einer Währungsunion.


4. Das Kosten-»0«

Mit der Einführung der Währungsunion und der Umtauschrelation 1:1 setzt sofort der realwirtschaftliche Anpassungsprozeß in der DDR ein, d. h. es erfolgen Zusammenbrüche in den lndustriestrukturen, die mit erhöhter Arbeitslosigkeit verbunden sind und sinkendem Volkseinkommen. Dieser Abwärtstrend wird den Verlauf einer J-Kurve nehmen und nach frühestens 2 - 3 Jahren die Talsohle erreichen. Spiegelbildlich zu dieser abwärts gerichteten Kurve ergibt sich eine Kostenbelastung der Bundesrepublik. Diese dürfte ebenfalls nach 3 Jahren ihren Höhepunkt erreichen und auf diesem Niveau dann stagnieren.

 Aus dem politischen Kalkül heraus muß die Regierung, durch die ökonomischen Sachzwänge genötigt, darauf drängen, den nächsten Wahltermin unbedingt zum Zeitpunkt TO durchzuführen. Der Zeitpunkt der Wahl muß logischerweise so nahe an den Zeitpunkt der Einführung der Währungsunion herangeführt werden wie irgend möglich, damit die auseinanderstrebenden Verläufe der Realkostenbelastung der DDR und der Finanzkostenbelastung der BRD für den Wähler (noch) nicht spürbar und sichtbar werden. Je weiter der Zeitpunkt in Richtung T1 oder T2 rückt, desto gravierender sind die Diskrepanzen in den Kostenverläufen und desto wahrscheinlicher wird eine Abwahl der diese Politik vertretenden Regierungen.

  Da der Wahltermin von vornherein nicht identisch ist mit dem Einführungstermin der Währungsunion, ergibt sich die wirtschaftspolitische Konsequenz, die Kostenkurven bis zum Wahltermin abzuflachen, so daß das Auseinanderlaufen nicht so deutlich spürbar wird, um den Wahlausgang nicht negativ im Sinne der politischen Entscheidungs- und Verantwortungsträger zu beeinflussen. Der DDR-Kostenverlauf kann abgeflacht werden durch vorzeitige Anschubfinanzierungen und der Bereitstellung von ausreichenden Überbrückungsgeldern. Die Kostenkurve der BRD kann abgeflacht werden durch Vermeidung einer direkten Steuerbelastung und durch Streckung dieser Belastung via Kreditaufnahme. Der Schuldendienst für die aufgenommenen Kredite fällt dann erst in späteren Perioden an. Mit diesen wirtschaftspolitischen Maßnahmen dürfte der Kurvenverlauf beider Kostenkurven bis zum Zeitpunkt T1/2 (also 1/2 Jahr nach Einführung der Währungsunion) in einer relativ engen Bandbreite gehalten werden können.

 Danach jedoch werden die Kostenverläufe auf beiden Seiten desto steiler ansteigen bzw. fallen.

 Politisch, d, h. in Wahlperioden denkend, muß dann dafür gesorgt werden, daß die Talsohle der Realkosten der DDR in etwa zwischen T3 und T4, d. h. nach 3 - 4 Jahren durchschritten ist und die Indikatoren dann eindeutig wieder aufwärts zeigen und Besserung verheißen. Nur so ist eine Wiederwahl (in der DDR-Bevölkerung) zu sichern. Auf bundesdeutscher Seite müßte der Finanzkostenberg ebenfalls nach 3 Jahren seinen Höhepunkt erreichen und dann wenigstens nicht mehr ansteigen. Auch so wäre dem bundesdeutschen Wähler deutlich zu machen, daß das Maximum der Belastungen nunmehr überschritten ist und für die Zukunft wieder eine bessere Welt zu erwarten sei.

 Sollte der Wahltermin (z. B. aufgrund externer Einflüsse) erst zum Zeitpunkt T1 oder gar T2 möglich werden, sind die Wahl-Chancen der Regierungsparteien auf ein Minimum gesunken. Die Kostenbelastung in der DDR erreicht ihr Maximum und die lndikatoren zeigen nach unten. Die Finanzkosten der Bundesrepublik sind hoch und die Indikatoren zeigen auf weitere Steigerung. Eine Abwahl der Regierung ist zu diesem Zeitpunkt höchst wahrscheinlich. Ein erneuter Wehltermin nach der Legislaturperiode von 4 Jahren würde unter diesen Bedingungen erst zum Zeitpunkt T6 stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt aber sind aller Wahrscheinlichkeit nach die Indikatoren der Kostenbelastung auf beiden Seiten erheblich günstiger, so daß die vor 4 Jahren übernommene Regierungsverantwortung vom Wähler erneuert werden wird.

 Dieses vereinfachte palitökonomische Modell erklärt einerseits den enormen Zeitdruck bestimmter politischer Kräfte, die Wahlen auf den Zeitpunkt TO zu fixieren und erklärt andererseits eine gewisse Gelassenheit der Oppositionsparteien hinsichtlich des gesamtdeutschen Wahltermins.

  Eine, in jedem Fall allerdings unzulängliche Prognose wäre die, daß der Blick zurück auf die Hochebene des Wirtschaftswachstums der letzten Jahre identisch ist mit einem Blick nach vorne.

Politisch gefordert ist eine
Führung, die dem reicheren
Bevölkerungsteil einen klaren
Solidaritätsbeitrag abverlangt
und hierin politische Moral artikuliert.

Im Gegenteil: der Blick, der nur an den Horizont schweift, übersieht. daß die eine Seite vor einem Abgrund steht und die andere Seite vor einem Kostenberg sich befindet. Die Lasten jedoch sind ungleich verteilt. Finanzbelastuagen, wie sie die Bundesbürger auf sich nehmen und über Kreditaufnahme zeitlich strecken, sind insgesamt viel leichter zu schultern als die realen Anpassungskosten, die die DDR-Bevölkerung mit Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen zu ertragen hat.

 Politisch gesehen ist die Wahrungsunion nur dann eine Währung der Union, wenn sie den Zeitpunkt der Wahl möglichst nahe an den Zeitpunkt der Währungsunion heranführt. Ansonsten droht ihr das Schicksal der Großen Koalition, die über die vergleichsweise simple Entscheidung, nämlich die einer reinen Wechselkursaufwertung der DM scheiterte.

 Im Jahre 1969 machte die Bundesrepublik eine interessante wirtschaftspolitische Erfahrung. Es ging auf die Bundestagswehlen 1969 zu und eines der wahlentscheidenden Themen dieses Wahlkampfes wurde durch die Wechselkursdiskussion zwischen dem Kanzler Kiesinger, CDU, und seinem Wirtschaftsminister Schiller, SPD, geführt. Angesichts einer Hochkonjunktur in der BRD und starken Devisenzuflüssen, die die Zentralbank zum vereinbarten festen Wechselkurs aus dem Markt nehmen mußte, plädierte Karl Schiller für eine Aufwertung der DM.

 Der Kanzler der Großen Koalition, von Herrmann Josef Abs beraten, erklärte jedoch, daß mit ihm keine Aufwertung zu machen sei. Er sollte recht behalten: mit dem Wahltag ging die Große Koalition zu Ende und die CDU in die Opposition. Es spricht viel dafür, daß auch bei der nächsten Wahl ein Währungsthema wahlentscheidend sein könnte.

  Die skizzierten Kostenverlaufe sind allein von der Einführung der Währungsunion determiniert und nicht vom Wahltag einer gesamtdeutschen Wahl bestimmt. Mit anderen Worten, die reale Entwicklung ist in ihrer Qualität vorhersehbar, nur in ihrem Umfang nicht genau quantifizierbar. Diese Entwicklung ist also in jedem Falle zu erwarten, unabhängig davon, wann der Wahltermin stattfinden wird.


5. Der politische Eiertanz um das Kosten-«O«

Der Umbruch und teilweise Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft ist unumgänglich. Sicherlich hätte eine andere Wechselkursrelation (z.ß. 1:5) die DDR-Anpassungskurve nicht so abrupt und so tief fallen lassen, auch wäre der Kostenberg für die BRD nicht so steil geworden. In einer Marktwirtschaft hat eben alles seinen Preis, auch die schnelle Währungsunion!

  

  Doch ist damit noch keineswegs geklärt, ab andere Lösungen langfristig billiger zu haben wären. Sicherlich ließe sich das »Kosten-O« auch nach oben und unten verschieben, je nachdem, wie stark die jeweilige Bereitschaft zur Kostenübernahme ist. Doch vieles mag sogar dafür sprechen, daß (anders als es in der Europäischen Währungsunion der Fall sein wird) die deutsch-deutsche Währungsunion den Durchgang durch eine systemreinigende Krisenphase benötigt, da.es ja gleichzeitig um die Überführung einer zentralen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft geht. Ein Experiment ohne historisches Beispiel.

 Es gilt, aus dem industriellen Niedergang einen Prozeß der »schöpferischen Zerstörung« ài la Schumpeter für eine ganze Volkswirtschaft zu machen. Dazu jedoch brauchte es den schöpferischen Staatsmann. Schöpferisch sein heißt aber nicht im Trüben fischen!

 PoIitisch ist es nicht aufrichtig, geflissentlich über Kostenberg und Kostental hinwegzusehen und so zu tun, als ab der Weg zum Horizont ein geradliniger wäre. Politisch ist es nicht konstruktiv, nur das »Kosten-O« auszumalen und mit sozialen Ängsten und Neidgefühlen zu füllen. Politisch gefordert ist eine Führung, die dem reicheren Bevölkerungsteil einen klaren Solidaritätsbeitrag abverlangt und hierin politische Moral artikuliert.

 Gezahlt werden muß jetzt sowieso. Auch wenn die Kosten angeblich allein aus dem Zuwachs des Sozialproduktes bestritten werden: der Zuwachs ginge der ( westdeutschen) Bevölkerung ja verloren. Warum sollte aber die westdeutsche Bevölkerung ihren Solidaritätsbeitrag nicht auch wirklich leisten wollen? Dieser Eiertanz um das »Kosten-O« zeigt in erster Linie ein Defizit an politischer Führung. Ein (zeitlich wie materiell begrenzter) Zuschlag auf Lohn-, Einkommen- und Körperschaftssteuer mit entsprechenden Freigrenzen für niedrige Einkommen wäre angezeigt. Auch ließe sich dieser Zuschlag progressiv gestalten... Die BRD-Bevölkerung könnte sich ein politisches Reifezeugnis erwerben - es müßte ihr nur angeboten werden!

Juni 1990
Prof. Dr. Hans-Peter Nissen,
Universität GHS Paderborn