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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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BRD 1978
BRD & DDR 1981
10 Jahre
NJR Lüth
Bürger & Partisan
Vorbemerkung

Paul Lüth

 

Vorbemerkungen der Redaktion

Paul Lüth

Bürger und Partisan


Über den Widerstand gestern, heute und morgen



INHALT

Die Epoche der Propaganda / Droht wirklich Krieg – und durch wen? / Krieg ohne Fronten / Welt ohne Grenzen / Die Politisierung des Lebens / Krieg und Diktatur / Bürger und Partisan / Patrioten der freien Welt / Die Chancen des Freiheitskampfes / Primat der Außenpolitik / Neutralität oder Bereitschaft? / Im Falle X (*)

  

 Die Geschichte kennt eine ganze Reihe totalitärer Diktaturen. Von Alexander und Caesar über Napoleon bis zu Hitler und Stalin reißt die Kette der Versuche nicht ab, einem einzigen imperialistischen Staate die ganze Welt zu unterwerfen. Die Geschichte lehrt, daß keines dieser Abenteuer geglückt ist – jede Gewaltherrschaft scheiterte nach wenigen Jahren.

 Seit 1939 steht die Welt ohne Unterbrechung im Abwehrkampf gegen den Totalitarismus. Der 25. Juni 1950 brachte, nach inzwischen erfolgtem Rollenwechsel („After Hitler Stalin“), eine Steigerung, aus welcher es nur den „Ausweg“ des dritten Weltkrieges zu geben scheint. In dieser schrecklichen, den Atem lähmenden Stille vor dem Sturm leben wir seither – und manche haben sich schon daran gewöhnt.

 Die vorliegende kleine Schrift will versuchen, einige Gesichtspunkte der Orientierung anzudeuten, ohne Anspruch auf historische oder lehrhafte Vollständigkeit. Es wird nur das wiedergegeben, was in vernünftigen Gesprächen seit Jahren wiederkehrt.

 Am Ende soll sich ergeben, daß kein Grund besteht, zu fürchten, es könnte Stalin gelingen, was so vielen anderen vor ihm nicht gelang, die doch an Geist und Energie keineswegs unter ihm standen. Widerstand ist immer möglich, und zum Schluß ist noch immer die Diktatur unterlegen.

Die Epoche der Propaganda

 Die moderne Welt umstellt den Menschen derartig dicht mit Presse-, Plakat-, Flugblatt- und Rundfunkkulissen, daß er, wenn er kein Fachmann ist, der Propaganda hilflos ausgeliefert ist. Die Politik hat in dieser Welt ernst gemacht mit dem geheimen Verdacht Nietzsches, daß immer und unablässig 1X1 auf die Dauer doch 2 ergeben könnte – indem sie ihre Schlagworte und Schlagzeilen, Denkklischees und Symbole unablässig einhämmert. Durch Rotation und ständige Wiederholung ins Unübersehbare vervielfältigt, erhält auch die unwahrscheinlichste Behauptung am Ende einen Schimmer von Richtigkeit.

  Das ist keine Bosheit der modernen Politik. Es folgt aus den modernen Verhältnissen selbst. Sie sind so sehr kompliziert, das Leben ist in derartig zahlreiche Beziehungen aufgefasert, daß der einzelne Mensch von sich aus keinen Überblick mehr gewinnen kann. Er ist auf die Fachleute angewiesen, und den Fachleuten ist heute nicht selten jenes Lächeln eigen, an welchem sich früher die Auguren erkannten...

  Bei Schiller heißt es bereits: „Der zahlreichere Teil der Menschen wird durch den Kampf mit der Not viel zu sehr ermüdet und abgespannt, als daß er sich zu einem neuen und härteren Kampf mit dem Irrtum aufraffen sollte. Zufrieden, wenn er selbst der sauren Mühe des Denkens entgeht, läßt er andere gern über seine Begriffe die Vormundschaft führen und ergreift mit durstigem Glauben die Formeln, welche der Staat und die Priester für ihn in Bereitschaft halten.“

 Seit Schillers Bemerkung sind über hundert Jahre vergangen, und die von ihm angezogenen Dinge haben sich inzwischen weiter entwickelt. Das Verwickelte, Undurchsichtige, Weitläufige der Verhältnisse hat sich gesteigert, die Position des Individuums hingegen verringert. Das hängt eng mit der Technik und ihren Fortschritten zusammen. Niemand ist mehr „autark“. Niemand kann mehr eigenständig leben, als Selbstversorger in des Wortes präziser Bedeutung. Anders als früher, wo es möglich war, den Lebensunterhalt im engen Kreise, in der Familie oder Sippe, sicherzustellen, ist heute jeder von einem umfänglichen und vielfältigen System der Arbeitsteilung, des Warentausches und des Transportes abhängig. Es gibt keine Einsiedeleien mehr und keine echte Neutralität. Eine wirkliche Flucht aus der Welt ist unmöglich geworden. Dem steht gegenüber, daß die Fortschritte der Technik – mit Flugzeug und Radio, Kino und Funk, Zeitungen und Illustrierten – so überlegene Mittel eindringlicher Massenbeeinflussung geliefert haben, daß auch die geistige Eigenständigkeit längst in Frage gestellt ist. Hier offenbart sich eine tragische Doppeldeutigkeit der Entwicklung: zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit ist es jedem einzelnen Menschen möglich, an der Gesamtkultur seiner Zeit teilzunehmen, aber diese Ebene der Publizität aller Dinge ist zugleich der Schlüssel für eine geistige Versklavung, eine absolute „innere Gleichschaltung“, wie sie in früheren Zeiten undenkbar war.

 Damit ist die Bedeutung der Propaganda in der Annäherung beschrieben: sie ist alles (und in dem Maße, in welchem die Religion schwindet, scheint sie auch deren Funktionen zu übernehmen). Die Propaganda ist die Chiffre für den Gesamtgehalt an berechneten geistigen Akzenten, psychologischen Hinweisen und Beeinflussungen, pseudomoralischen und pseudoreligiösen Strömungen, die das „Klima“ einer Epoche bestimmen, das heißt: die die Gedankenwelt der einzelnen Menschen dieser Epoche färben und zwar so färben, wie es dem Plan entspricht.

 Will man sich klar machen, wie es um die Propaganda bestellt ist, darf man einige Überbelichtungen vornehmen. Man kann sagen, daß die Piopaganda ein zynisches Verhältnis zur Wahrheit voraussetzt. Wahr ist, was der Propagandist durchsetzt. Wahr ist – in jedem Falle – die eigene Parteilinie. (Daher die fröhliche Unverfrorenheit der sowjetkommunistischen Propagandisten, die „Unterwerfung“ der Völker „Befreiung“ nennen und die sowjetische Aufrüstung als Friedensmaßnahme hinstellen.) Unwahr ist, was die gegnerische Organisation behauptet, und alles das, woran der Propagandist scheitern würde. Da der Propagandist, als Experte, an nichts scheitert, gib es im Grunde nichts, was er nicht nach Belieben und Zweckmäßigkeit zum Rang einer Wahrheit erheben könnte. Daß die Wahrheiten unserer Epoche demgemäß synthetische Wahrheiten sind, genau berechnet und besonders gefiltert, versteht sich am Rande.

 Die Propaganda als Methode setzt ferner ein zynisches Verhältnis zum Volk, zum Menschen voraus. Der Propagandist, als Experte, glaubt nicht, daß es etwas gibt, was er – hat er nur die Mittel und genügend Zeit (und je mehr Mittel er hat, je weniger Zeit braucht er) – nicht schließlich zum Bestandteil der allgemeinen Anschauung machen würde. Er traut dem Volk, dem Menschen zweierlei nicht zu: weder eigenes, selbständiges Urteil noch Erinnerung. Er rechnet mit einem neuen Bilde des Menschen, mit dem Menschen ohne geistigen Zusammenhang und Zusammenhalt, ohne Maßstäbe, die Vergleiche erlauben, das heißt: ohne Tradition. Und indem der Propagandist unablässig an diese Fiktion appelliert, wird sie allmählich Realität.

 Der in die Zivilisation der voll industrialisierten, mechanisierten Welt eingespannte Mensch hat keine Zeit für Besinnung und Überlegung. Jede Minute dient dem Gelderwerb oder dem Sammeln neuer Kräfte für den Gelderwerb. Deshalb übernimmt er, mit gewissen privaten Vorbehalten, das, was – bei Schiller Staat und Priester – der Propagandist anbietet und vermittelt. Unnötig zu sagen, daß der Propagandist bei diesem Geschäft verschiedene Masken benutzt – die des Journalisten, Reporters, Wissenschaftlers, Philosophen, Politikers. Unnötig zu sagen auch, daß der Propagandist bemüht ist, den Spielraum der „gewissen privaten Vorbehalte“ so eng wie möglich zu halten.

 Unter den modernen Staatsformen hat die Diktatur naturgemäß am wenigsten Skrupel, das System der Propaganda konsequent auszubauen, die freiheitliche, antitotalitäre am meisten. Die Diktatur kann sich zumeist völlig diesen gewiß neuartigen Dingen widmen. Sie richtet fast stets besondere Ministerien dafür ein. Deren Name ist wechselnd, „Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ unter Goebbels, „Amt für Information der Deutschen Demokratischen Republik“ unter Towaritsch Eisler, dazwischen eine Skala vieler anderer Möglichkeiten. Die UdSSR hat eigene Ministerien für Nachrichtenmittel, Hochschulbildung, Filmwesen, hat diese Dinge also noch weiter untergliedert.

 Die Demokratien sind dagegen im allgemeinen gehemmt. Sie haben kein eigenes Ministerium dafür, können die Staatsräson nur bedingt dafür einsetzen, es fehlt an Geld, so daß oft private Initiatoren sich einschalten, und schließlich müssen sie auch die feindliche Propaganda im eigenen Bereich – aus prinzipiellen Erwägungen heraus – zulassen. So kommt es, daß, um ein praktisches Beispiel anzugeben, kaum ein Einwohner der Bundesrepublik Westdeutschland weiß, daß jeder amerikanische Arbeiter zwei volle Wochenlöhne im Jahr für die tätige Europahilfe, für den Marshall-Plan, opfert, während die kommunistische Gegenpropaganda, das ERP-Unternehmen sei eine Aktion der Wallstreet, um Europa auszurauben und auszubeuten, sehr weit durchgedrungen ist.

Man halte neben die ebenso umfangreiche wie intensive Propagandatätigkeit der Sowjetzonenregierung die dpa-Meldung vom 5. März 1951: „Die Bundesregierung will künftig für publizistische Fragen Sachverständige heranziehen, die sie von Fall zu Fall beraten sollen. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nicht an die Bildung eines Propagandaamtes gedacht werde...“

Droht wirklich Krieg – und durch wen?

 Wer den ganzen Tag über seinem Gelderwerb hingegeben ist, um im harten Daseinskampf seine Existenz zu sichern, hat wenig Zeit, die vielen Argumente der Politik, die die Zeitungen nach Aktualitätsgraden wahllos ausbreiten, auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen, und noch weniger ist er in der Lage, die verschiedenen Programme und Parolen gegeneinander abzuwägen. Er ist ein Opfer der Propaganda und er weiß es nur allzu genau, Daher die weit verbreitete Stimmung der Unlust und des Mißbehagens, sobald die Rede auf Politik kommt.

 Angesichts der Vielzahl der Thesen und Prognosen ist als allgemeine Anschauung kaum anderes zu erwarten als Verwirrung. Die nicht völlig klare Haltung vieler zum Bolschewismus, die Ängstlichkeit, mit der sie über untätiges „wenn“ und „aber“ nicht hinauskommen, hat hier ihren Ursprung. Im wesentlichen ist es mangelnde Information, während andererseits die Propaganda des Sowjetkommunismus auf hohen Touren läuft und keine Gelegenheit ausläßt, sich zu empfehlen.

 Das stellt die Frage, wer denn nach 1945 den Frieden wirklich gefährdet. Die Antwort ist für den, der einmal von allen Propagandakulissen absieht, verhältnismäßig einfach. Nur die Macht gefährdet den Frieden, die seit 1939 unablässig ihr Reich vergrößert hat, durch ständig neue Annexionen: die Sowjetunion! Die Sowjetunion ist eigentlich erst mit dem zweiten Weltkrieg zu einer ungehemmten Expansionspolitik übergegangen. Vorher hat sie sich ängstlich vor Übergriffen gehütet, weil sie die Entschlossenheit ihrer Gegner überschätzte. Nehmen wir nur einige der Länder, die Rußland seit 1939 ohne Rechtsgrund „verschluckt“ hat: Litauen, Lettland, Estland, Karelien, Ostpreußen, die Bukowina, Ostpolen, die Karpatho-Ukraine, Bessarabien, die äußere Mongolei, die Republik Tannu-Tuwa (das frühere Urianschaj), praktisch die ganze Mandschurei (mit 82º/o des gesamten chinesischen Kohlevorkommens!), die größte Provinz Chinas: Sinkiang, Sachalin, insgesamt 23 Millionen Einwohner (etwa 3 Millionen möglicher Soldaten!) – dann streckten sich die Greifarme der alten Krake im Kreml nach Tibet und Korea aus, wenn wir in diesem Zusammenhang einmal von den praktisch annektierten Ländern, den Satellitenstaaten, absehen wollen. Angesichts dieser durch keine Propaganda aus der Welt zu schaffenden Tatsachen rückt die Friedens-Kampagne der Kommunisten in ein eigentümliches Licht. Sie wird zur Taktik der tro janischen Taube, die die Gegner ablenken und darüber hinaus, wie im Falle des trojanischen Pferdes, zu unbewußten Handlagern des eigenen Machtstrebens machen soll. Indem man sowjetischerseits unter Frieden nur den Frieden nach dem kommunistischen Endsieg versteht, die übrige Welt darüber im unklaren läßt, hier vielmehr nur auf die natürliche Friedensliebe der Menschen spekuliert, bringt man die Vertreter des Bürgertums, auch ganz ernsthafte Geister, die nur politisch zu wenig versiert sind, um diesen Trick (die propagandistische „Umkehrung der Tatsachen“) sofort zu durchschauen, dazu, die Liste für die Ächtung der Atomwaffe und beliebige andere kommunistische Friedensappelle zu unterschreiben. Diese Unterschriften, die sich textlich nur gegen den Atomkrieg oder den Krieg überhaupt richten, werden sofort zu Zeugnissen für die Herrlichkeit des Sowjetregimes und den gütigen und weisen Stalin, den genialen Lehrer der Werktätigen – und schon ist es zu spät, denn wer auch seine Unterschrift zurückzieht, sein Widerruf wird nicht publiziert, sondern beharrlich totgeschwiegen!

 Immer hinter dem Plakat des Friedenswillens hat die Sowjetunion eine ganze Skala von Möglichkeiten des Länder- und Menschenraubes entwickelt, eine „Strategie der kleinen Bissen“, die ihr, während man im westlichen Lager die Realität – in der Nachwirkung der Roosevelt–Hopkins-Ära – nicht sehen wollte, beinahe die halbe Erde unwidersprochen und unbefehdet eingebracht hat. Nun, da dies geschehen ist, erkennt man mit einigem Grauen, wie raffiniert und präzis das in die Wege geleitet wurde. Ein Bogen spannt sich aus

von der schrittweisen Bolschewisierung imSchutze der Besetzung durch die Rote Armee, wie im Falle aller Satellitenstaaten, einschließlich der deutschen Sowjetzone,

über den Bürgerkrieg mit nur indirekter sowjetischer Unterstützung, wie in China,

und von der glatten zynischen Annexion durch die vormarschierende Rote Armee, ohne daß man darüber spricht, wie im Falle der baltischen Staaten, Ostpolen, die Karpatho-Ukraine,

über den geschickt dirigierten Angriff von Satelliten, ohne daß eine sowjetische Beteiligung sichtbar ist, wie im Falle Korea, wobei die Möglichkeit ausgenutzt wird, die Affäre als eine innerkoreanische Angelegenheit zu behandeln, – oder wie in Tibet als eine innerchinesische –

bis zum versuchten Putsch in Osterreich im Oktober 1950,– wo es immerhin gelang, was in Korea vermieden wurde, nämlich einen der sowjetischen „Manager des Volkszorns“, einen Offizier der Roten Armee in Zivil, festzunehmen!

  Im westlichen Lager sah man, da man nicht mehr darum herumkam, sich dies alles klar zu machen:

 1. daß der „einfache“ Weg der direkten, militärischen Annexion des „klassischen“ Imperialismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts überholt ist,

 2. und daß ein dritter Weltkrieg nicht mehr mit offenen kriegerischen Maßnahmen zu arbeiten braucht, da er nun Möglichkeiten genug hat, im Verborgenen zu wüten.

 Dies berücksichtigt, ergibt sich, daß der Bolschewismus, ehe er offensiv wird, – wenn ihn die Unvorsichtigkeit oder Blindheit seiner Gegner oder eine günstige politische Konstellation nicht geradezu „einlädt“ – zwei Voraussetzungen macht. Das Politbüro will für die Rote Armee, ehe sie marschiert, folgendes gewährleistet wissen:

 1. daß der Boden, den sie besetzen soll, politisch vorbereitet ist –

 a) durch bezahlte (oder auch ehrenamtliche, gleichsam auf ideeller Basis abgefundene) Agenten und Spione,
b) durch die systematische kommunistische Infiltration aller wesentlichen Positionen und Institutionen des betreffenden Staates und Volkes,
c) durch eine wohlvorbereitete und dann geschickt ausgelöste und zentral gesteuerte Stimmung von Defaitismus, Hysterie und Panik, durch die sich einige Divisionen einsparen lassen.

 2. daß die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ansatzpunkte für die kommunistischen Versprechungen – das heißt für die kommunistische Zersetzungs- und Wühlarbeit – abgeben.

 Die Arbeit hieran gehört zu der neuen Art der Kriegführung genau so wie militärische Vorbereitung, Aufmarsch und Planung, und wenn wir feststellen müssen, daß dieses Programm abläuft und betrieben wird, können und müssen wir sagen, daß der Krieg unmittelbar droht. Ein Blick aber in die Wirklichkeit unseres Lebens im Westen, ob in Westdeutschland, Frankreich, England oder Italien, ob in der Schweiz oder in Amerika, zeigt, daß dem so ist! Die Fünfte Kolonne des Weltbolschewismus ist am Werk. Infolgedessen droht Krieg durch den Weltbolschewismus. AIle politischen Planungen und Bestrebungen haben von Stund an diese unerbittliche Realität zu berücksichtigen.

Krieg ohne Fronten

 Man sollte mehr Wert auf die Einsicht legen, daß die übliche Bezeichnung für die augenblickliche Weltlage, „West-Ost-Konflikt“, zu unscharf ist für das, was wir wirklich erleben und erleiden. Diese Bezeichnung birgt nämlich in sich unausgesprochen die Vorstellung eines klaren Frontverlaufes. Das aber ist gerade das, was wir heute vermissen und was die Lage für viele, die sich bisher wenig mit Politik und Geschichte befaßt haben, so undurchsichtig macht. Gewiß, es handelt sich, allgemein gesehen, um den messerscharfen Gegensatz zwischen der „westlichen“, das heißt freiheitlichen, kultivierten Lebensform und der „östlichen“, totalitären Art, die dem Mensch keinen Eigenwert als Persönlichkeit zuerkennt, sondern ihn als Material nimmt, als Ziffer. So betrachtet, fällt die Wahl allerdings nicht schwer. Sobald diese beiden Seiten aufgewiesen werden, wissen wir schon, für welche Seite wir uns zu entscheiden haben, weil diese Entscheidung – nach Geburt und Geschichte, nach Bildungsgang und natürlichem Interesse – in uns liegt: für den freien Westen. Aber das besagt nicht, daß die Frontlinien sich so ziehen, wie die Grenzen es nahe legen möchten. Der Blick auf die Karte ist eindeutig – zu eindeutig, denn von Lübeck und der Elbe bis zur Donau und dem Rodope-Gebirge, so akkurat verläuft die Front nicht.

 Das liegt daran, daß Europa nicht am Eisernen Vorhang, nicht einmal am Ural endet. Europa endet dort, wo der letzte Mensch nicht mehr bereit ist, seine Freiheit zu verteidigen. Und unter diesem Gesichtswinkel gehören viele Leute im Westen nicht mehr zu Europa. Der Begriff der „Rückversicherer“, als Gesamtnenner für die Neunmalklugen und die Beschwichtigungshofräte in den Ämtern, für die Feigen und für die Eigenheimstrategen an den Stammtischen, hat im europäischen Denken keinen Platz. Der europäische, der westliche Mensch hat sich stets im Widerstande gegen die andrängenden Mächte der Barbarei behauptet und ist in diesem ununterbrochenen Kampf gewachsen.

 Die Feinde der Freiheit haben in der Geschichte vielerlei Gestalt angenommen, von den Persern und den Skythen zu den Hunnen und den Türken – heute erscheinen sie mit dem verbissenen Fanatiker-Gesicht des linientreuen Stalinisten. Dieser augenblicklich den Weltfrieden gefährdende Gegner des freien Menschen, der Stalinismus, ist „das Böse in System gebracht“. Was bei den Persern und Hunnen und Türken schließlich verlief, nachdem es seine Kraft verbraucht hatte, das tritt nun mit einem System auf. Dieses System trachtet danach, auch das, was die „alten Diktaturen“ unberührt gelassen hatten, das Innere der Menschen, – als den letzten Hort der Freiheit – zu unterwerfen. Das Mittel dazu ist das intellektuelle Gebäude des Kommunismus in der heute gerade gültigen Stalinsehen Auslegung.

 Hier beginnt die Schwierigkeit! Die Rückversicherer, die den Westen lediglich zu schwach sehen, vor der Größe des Ostens zittern und deshalb „ein Gespräch zwischen Ost und West“ (das ist ihre harmlose Formel) anstreben und, in der Konsequenz, für den „Kampffond“ der KP oder ihrer einzelnen Tarn- und Hilfsorganisationen zeichnen, in kommunistischen Zeitungen inserieren – sie treffen hier, in der Wirkung nämlich, zusammen mit den bezahlten, geschulten Agenten Moskaus, mit den Saboteuren, Spionen, Provokateuren und Propagandisten. Sie alle zusammen, als die Fünfte Kolonne Stalins im weiteren Sinne, sind die Vorhut der Roten Armee, ob sie es wissen oder nicht.

 Grundsatz:

 im Gegensatz zum Strafrecht kommt es in der Politik nicht auf das verbrecherische Motiv an, sondern auf die Wirkung. Manch einer, der subjektiv in bester Absicht handeln mag, nützt objektiv – und darauf kommt es an! – doch nur Moskau.

 Daraus folgt, daß die Front des Feindes tief in unser Gebiet hineinreicht! Der Gegner ist nicht nur der Kommunist mit dem Parteibuch in der Tasche, sondern auch der bürgerliche „Kryptokommunist“, der getarnte – oft unwissentliche – Parteigänger der Sowjets. „Stalin mitten unter uns“ – diese Formel können wir uns nicht eindringlich genug einprägen, denn wenn der Blick erst einmal geschärft ist, entdeckt man die offenen und geheimen Bolschewiki überall – und gelegentlich auch dort, wo man sie am wenigsten vermutet hätte, direkt in den Ämtern und Dienststellen.

 Daraus folgt weiter, daß wir ebenfalls tief in das Lager der Sowjets hineinreichen und hineinwirken! Nicht nur alle aufrechten Deutschen in der sowjetischen Besatzungszone, selbst viele russische Soldaten der Roten Armee sind auf unserer Seite!

 Dieses Bündnis der freiheitlich Gesinnten schiebt sich – über die russische Besatzungstruppe in Deutschland und Österreich – direkt nach Rußland hinein. Daraus folgt die Unsicherheit der Kämpfer: da keine feste Front gegeben ist, kann sich sowohl der Vertreter der Freiheit als auch der Agent des SSD oder der NKWD irren. Beide laufen Gefahr, Vorkämpfer des Feindes in ihre Reihen aufzunehmen. Damit beginnt das weite Feld des „kalten Krieges“, des „Krieges ohne Fronten“.

Betrachten wir als Beispiel für die getarnte Arbeit der KP, für die „kryptokommunistische“ Taktik den sogenannten Kongreß für aktive Neutralität, der Mitte März 1951 in Frankfurt am Main stattfand. Es waren rund 120 Personen anwesend, von ihnen trug etwa ein Drittel den Dr.-Titel und ein Drittel ist an irgendwelchen Hochschulen und in Verwaltungs- und Wirtschaftspositionen tätig. Die Jugend war nicht vertreten. Nach genauem Plan spielten sich Wolf Schenke, der Einberufer, von der „Dritten Front“, und Prof. Noack, vom „Nauheimer Kreis“, sehr geschickt die Bälle zu und brachten die Veranstaltung energisch in prosowjetisches Fahrwasser. Wolf Schenke erklärte wörtlich, was ein anderer Redner später wiederholte, um diese Gedanken möglichst kräftig einzuhämmern: „Wenn der Mann zu Hause ist, wird wohl der Frau auch ab und zu etwas passieren, aber wenn der Mann auf der Seite der Westmächte kämpfen wird, dann wird es ihr noch schlimmer ergehen!“

Auf dem Kongreß war der Sowjetzonen-„Außenminister“ Dertinger durch einen Beobachter, Frau Bubener, vertreten. Sie war erfreut, zu hören, daß sich der Kongreß auf folgendes Programm einigte: „Ablehnung Adenauers, Bonns, des Schumannplanes, des Atlantik-Paktes, Ablehnung einer Teilnahme am Kriege auf westlicher Seite, unbedingte Passivität im Falle eines sowjetischen Vorstoßes...“

Prof. Noack empfahl abschließend, eine nicht länger zu missende prosowjetische Massenorganisation dadurch aufzubauen, daß man kleine Gruppen von je fünf Mann schaffe – da diese sehr leicht zu steuern seien. Auch die Herausgabe von Propagandamaterial sei auf diesem Wege leicht – augenscheinlich hat Prof. Noack die Umwandlung in eine direkte Fünfte Kolonne dabei im Auge gehabt.

Welt ohne Grenzen

 Der Kampf, in,welchem wir heute stehen, ist Teil eines umgreifenden Prozesses, der durch uns und mit uns zu seinem Ziele läuft und, wie es scheint, durch nichts abzulenken ist. Dieses „Ziel“ der Weltgeschichte ist fraglos

die endgültige Umschmelzung der Nationalstaaten in kontinentale, den Erdteil einende, und darüber hinaus in weltweite Zusammenhänge.

 Die Gründe dafür sind mannigfach – es wirken zusammen die Fortschritte der Technik, die den Planeten vor allem durch die Neuerungen auf dem Gebiete des Nachrichten- und Verkehrswesens immer „kleiner“ gemacht haben, und die mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert einsetzende große Bevölkerungsvermehrung. Die Menschen müssen enger denn zuvor zusammenrücken, und damit nehmen auch die Reibungen und Zwistigkeiten zu. Zugleich wird der Zwang zu Übereinkommen und Einigungen unabweisbar.

 Dieser weltgeschichtliche Prozeß hat seine Folgen. Er wandelt die Art des Kampfes und der Auseinandersetzung – in dem Grade, in welchem er sich seinem Ziele nähert, hebt er die alten Prägungen und Kategorien auf, macht er die alten Vorstellungen von Strategie und Taktik hinfällig. Dieser Prozeß bedeutet

die Umwandlung der „klassischen“ Form des offenen Krieges der Nationalstaaten in die verdeckte, frontenlose (oder doch wenigstens die Entscheidungen nicht unbedingt an die Fronten verlegende) Form des kontinentalen Bürgerkrieges. Damit gleitet die Entwicklung aber schon in die nächste Phase: der kontinentale Bürgerkrieg wird zum planetarischen Bürgerkrieg.

 Diese Entwicklung hat in erster Linie geistige Konsequenzen: sie verlangt revolutionäres Denken, das heißt den Mut, mit alten Begriffen zu brechen und für die neuen Verhältnisse neue Mittel zu ihrer Bewältigung zu finden. Wer auf diesem Wege vorangeht, wer sich über die neuen Begriffe und die neuen Mittel, wer sich über die neue Realität als erster klar ist, der wird auch in der Lage sein, den Kampf zu gewinnen – weil er ihn gewinnen muß, da er ja – durch die nüchterne Erkenntnis und die konsequente Handlung – ein Teil der neuen Welt geworden ist, die mit der Zukunft identisch ist.

 Unter diesem Gesichtspunkt meint „Welt ohne Grenzen“ nicht jene idyllischen, kosmopolitisch-bequemen, Weltreisen – weil es ja keine Pässe gibt – ungemein erleichternden Verhältnisse, wie sie uns (etwa in Stefan Zweigs wehmütiger Autobiographie „Die Welt von gestern“) aus der Zeit von vor 1914 überliefert werden. „Welt ohne Grenzen“ bedeutet wörtlich das Fehlen aller jener Linien und Markierungen, die die Orientierung – und damit den Kampf alten Stiles – erleichtern. Seit dem zweiten Weltkrieg kann man nicht mehr von einem Krieg gegen „die“ Deutschen oder „die“ Russen sprechen. Das Beispiel Korea zeigt einige Merkmale des „neuen Krieges“ auf:

1. das „Verschmieren“ der Fronten dadurch, daß neben den Soldaten
2. der Partisan tritt, der mit herkömmlichen Mitteln nicht mehr greifbar ist, weil er durch alle Fronten „durchsickert“, sich im Hinterland überraschend zu größeren Verbänden formieren und ebenso schnell wieder völlig verschwinden und untertauchen kann.

 Das Beispiel Korea zeigt auch auf, was oft übersehen wird, daß nämlich der Kampf im neuen Kriege nicht durch eine einzige Waffe allein entschieden wird, weder allein durch die Luftwaffe, noch allein durch den Panzer, sondern daß alle Waffen erst Bedeutung gewinnen durch ihre Kopplung mit den Maßnahmen auf der Erde, mit der Infanterie. Selbst die Atombombe und andere Superwaffen müssen darauf Rücksicht nehmen: ihr Großeinsatz nach Art Hiroschimas verbietet sich, wo eigne Kräfte mit dem Gegner im Kampf stehen oder später zu Besatzungszwecken einrücken sollen. (Inzwischen haben die Versuche in Nevada anfangs 1951 einen neuen Atombombentyp entwickelt, der gezielte, also auch taktische Verwendung und Kopplung mit ferngesteuerten Raketen ermöglicht.)

Vor jedem Krieg erörtert man die Möglichkeiten des nächsten ebenso wie die Möglichkeit (oder Unmöglichkeit), ihn zu vermeiden. Vor dem zweiten Weltkrieg wurde die Konzeption des italienis&en Generals Douhet bekannt, der glaubte, jeder künftige Krieg werde notwendig Luftkrieg sein. Wie sehr selbst der Triumph der alliierten Luftwaffe über Deutschland im zweiten Weltkrieg dem widerspricht, zeigen die nach Kriegsende in Amerika veröffentlichten Statistiken: die deutsche Rüstungsproduktion hatte trotz aller Luftangriffe und Bombardements bis zum Spätsommer 1944 eine steigende Kurve, und erst dann trat eine Änderung ein, weil sich nun die Zerstörung des Verkehrsnetzes auszuwirken begann.

Die Politisierung des Lebens

 Es ist nicht möglich, auf wenigen Seiten das Thema der modernen Diktaturen auch nur zu skizzieren. Was in unserem Zusammenhang wichtig ist, läßt sich in der Annäherung sagen. Die modernen Diktaturen sind anderer Art als die der Antike. Es ist deshalb keine Tautologie, wenn man sie „totalitäre Diktaturen“ nennt. Sie gehen in einer viel schärferen, ungleich brutaleren Art auf das Ganze des Lebens der Menschen, als früher, wo es vermutlich auch – ohne Presse und Rundfunk – gar nicht möglich war. Die modernen Diktaturen unterwerfen die Menschen nicht nur äußerlich, sondern – wollen es wenigstens – auch innerlich. Sie begnügen sich nicht damit, daß sie die Herrschaft haben, sie wollen auch die innere Zustimmung der Menschen. Infolgedessen müssen sie in das Innere vordringen und sich selbst in den Seelen ausbreiten und festsetzen. Das macht sie so ausweglos, endzeitlich – der Bauer in einer persischen Satrapie konnte innerlich eingestellt sein, wie er wollte, wer im Bereich der römischen Legionen lebte, desgleichen: der rumänische oder ungarische, der polnische oder tschechische Bauer hinter dem Eisernen Vorhang hat diese Freiheit nicht.

 Daß es soweit kam, hat vielerlei Gründe. Ganz gewiß hängen die meisten zusammen mit der Industrialisierung und dem Aufkommen der Technik. Im 19. Jahrhundert begann eine Umwandlung der Gesellschaft, die noch anhält. Die bis dahin herrschenden Klassen – Adel, Offizierskorps und höheres Beamtentum – wurden abgelöst. An ihre Stelle trat eine neue Schicht, das Großbürgertum, die Wirtschaftsführer. Die Technik verschob die Bevölkerung – der Handarbeiter, der Handwerker, aber auch der Bauer, der eigenständige, in sich ruhende Mensch der Klassik traten von der Bühne ab, weil die Maschinen schneller, billiger aber auch präziser arbeiteten, und weil diese Maschinen die zu ihrer Bedienung notwendigen Kräfte vom Land weg und dort zusammenzogen, wo sie aufgestellt wurden: in den Fabriken, in den Städten, die damit riesenhaft anschwollen und sich vollsogen mit der von der Maschinenwelt neu geschaffenen Klasse der Lohnarbeiter. Der Lohnarbeiter, der Proletarier, wie man ihn marxistisch nennt, ist der Fabrikmensch, der keine Bindung mehr zu dem Boden hat, auf dem er lebt, der also heimatlos ist, weil die Fabrik seine einzige Heimat ist und die Fabrik keinem Heimat sein kann.

 Mit der Industrialisierung, mit der Technik und mit der um die gleiche Zeit einsetzenden rapiden Bevölkerungszunahme in Europa entsteht das, was man gemeinhin „Masse“ nennt. Zur Masse gehört nicht der Mann im blauen Monteuranzug, nur weil er den blauen Monteuranzug trägt – zur Masse kann jeder gehören, gleich welcher Klasse, auch – und gerade – der Akademiker. Masse im modernen Sinne ist der Mensch, der auf sein eigenes Urteil, auf seine Kritik verzichtet und sich dem Schlagwort – und den übrigen Mitteln der Massenbeeinflussung – ausgeliefert hat. Masse ist, was im Sportpalast Beifall dröhnt und johlt. Diese Masse ist es, die die Diktatoren fasziniert. Vor ihr erleben sie die Ekstasen ihrer Reden, und mit ihr gelingt ihnen vieles, was Vernunft sonst nicht für möglich hält.

  Die Menschen im eigenen Bereich zur Masse zu machen, ist deshalb oberste Leitschnur aller totalitären Bewegungen. Wo gedacht wird, wo der Geist über die Spalten der offiziellen Leitartikel hinaus noch lebendig ist, ist der Totalitarismus in Gefahr.

 Die moderne Diktatur ist ein System, das alles „erfaßt“, dessen gesamte Bestrebungen darauf hinauslaufen, alles zu „regeln“. Die Entprivatisierung des Lebens: vom Handel und der Wirtschaft bis zu den freien Stunden und dem inneren Familiendasein wird alles dem „Plan“ unterworfen. Es gibt nichts, was nicht in irgendeine „Sparte“ paßte, und der Erfindungssinn der Ingenieure des Apparates ist enorm: sie entdecken immer neue Möglichkeiten für staatliche, kollektive Regelung und Erfassung. Um eine Regung des Widerstandes von vornherein auszuschalten, verknüpft man geschickt die totalitäre Bewegung, die Partei, mit dem Staat: alle wichtigen Positionen stehen in Personalunion – oder in direkter Kontrolle – mit der Staatspartei.

 Durch die „Staatspartei“, die Kopplung aller wichtigen staatlichen, kommunalen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schlüsselpositionen im System der totalitären Bewegung, versucht man, ein engmaschiges, dichtes Netz über das gesamte Leben des „unterworfenen“ Volkes zu ziehen. (Die Regierungsweise einer Diktatur ist stets die Eroberung – auch das eigene Volk wird als unterworfenes behandelt, wie das deutsche durch Hitler, das russische durch Lenin und Stalin.) Der totale Staat sagt: wenn alle „gleichgeschaltet“ sind, kann niemand mehr „aus der Reihe tanzen“.

 Aber das Leben ist vielgestaltig und reich. Wer durch ein einziges System alles in seine Hand bekommen will, muß am Ende erkennen, daß er nichts mehr in den Fingern hat, weil alles entgleitet.

 In dem Augenblick, da die absolute Politisierung – Politisierung im Sinne der Staatspartei – alles ergreift, kommt der Zeitpunkt heran, von welchem an sich alles entzieht. Die totalitäre Tendenz vernichtet auf die Dauer keineswegs jede Möglichkeit des Widerstandes: sie zwingt den Widerstand nur zu neuen Wegen.

 In jedem Falle ist eines vollzogen, wie man auch dazu stehen mag: es gibt nichts mehr, was nicht politisch wäre. Jede Handlung, auch die private, – und je mehr, je bewußter sie privat ist! – hat eine politische Färbung. Selbst die Abkehr von der Politik, in solchen Zeiten besonders unter Intellektuellen beliebt, wird zur politischen Entscheidung: zu einer Entscheidung freilich, die dem Gegner nützt.

 Und nun beginnt der Oppositionelle stärker zu werden als das Regime: weil er klüger wird. Die totalitäre Diktatur ist die Herrschaft der Deklassierten,– irgendwie haben alle, die sie herbeigeführt haben, welches Beispiel wir auch nehmen, zuvor ihren Platz in einer natürlichen, gewachsenen Gesellschaftsordnung verloren. Der deklassierte Mensch aber ist ohne Maß – das Gefühl für Maß, der Instinkt für den Grad, bis zu welchem man gehen darf, fehlt dem Deklassierten. Man vergleiche, wenn man um eine Illustration verlegen ist, die Haltung Bismarcks beim Friedensschluß mit Frankreich 1871 mit der Hitlers 1939. Ähnlich waren besonders in den Ländern, in welchen die Deklassierten 1945 die Macht ergriffen, die Ausschreitungen gegen die Deutschen brutal und unmenschlich.

 Die Opposition sieht die moralische Unterlegenheit des Regimes. Sie sammelt alle, die die Freiheit lieben und den Terror hassen. Der Zwang der Diktatur sorgt dafür, daß die Oppositionellen behutsam vorgehen, die Extreme vermeiden – das heißt, daß das Maß, welches der Diktatur fehlt, sich auf Seiten des Widerstandes einfindet.

Krieg und Diktatur

 Krieg und totalitäre Diktatur gehören eng zusammen. Die Regierungsweise der Diktatur ist kriegerisch, eine Übertragung der im Kriege üblichen und angemessenen Methoden auf die zivilen Verhältnisse. So wie im Kriege „alles einfach“ ist, wird auch innerhalb der totalitären Diktatur das Leben vereinfacht. Dieser Trick bringt gewisse Erfolge: die Mechanik Befehl-Gehorsam läßt vieles funktionieren, was zuvor Schwierigkeiten machte. Krieg und Diktatur wenden die Dinge ins Äußere und Äußerliche.

 Die Diktaturen müssen sich ständig neu bestätigen und selbst rechtfertigen. Die Bestätigungen und Rechtfertigungen, die in den Augen der Diktatur am meisten Beweiskraft haben, sind äußere Erfolge, vorzüglich solche auf militärischem Gebiet. Und hier bietet sich für die Diktaturen ein Weg an, die zahllosen inneren Spannungen ebenso bequem wie nutzbringend abzuleiten.

 Ein dritter Punkt ist zu berücksichtigen, er ergibt sich aus dem Mißtrauen der Diktatur. Von Beginn an auf ein pedantisches System der Kontrolle auch der eigenen Anhänger festgelegt, gehört die Furcht zu ihrem Wesen, als die andere Seite des Terrors. Der Zustand der Gestapo, NKWD und des SSD „von innen“ ist namenloses Entsetzen. Die Experten der Tortur und der Liquidierung sind am Ende argwöhnisch gegen sich selbst. Da ihnen, im Gegensatz zur Inquisition, kein transzendentes Jenseits als moralische Ausflucht zur Verfügung steht, sie mit aller Schärfe auf „diese Welt“ verwiesen sind, da ihnen diese Welt, in deren letzte Falte sie mit Drittem Grad und Temperaturzelle eingedrungen sind, nichts sagt, bleibt ihnen – nichts. Aber dieses Nichts ist nicht das stille, verlöschende Nirwana der Buddhisten, sondern ein schreckliches Feuer – wer es in sich hat, ist unablässig getrieben, tätig zu sein, zu wirken, zu handeln, ab mit Aussicht auf Erfolg oder nicht. Dieser „horror vacui“ zwingt die Diktaturen, sich immer weiter auszudehnen. So lange es noch ein „Außen“ gibt, ist die Diktatur gefährdet, denn außen heißt ja – außerhalb der Kontrolle. Es ist das Grauen vor sich selbst, das zu diesem Amoklauf der Diktaturen führt, dem sie schließlich selbst zum Opfer fallen.

 Der Sowjetkommunismus hat sich hierfür ein bequemes ideologisches Rüstzeug geschaffen. Die Stalinisten argumentieren: was sich in der westlichen Welt Demokratie nennt, ist nur formale Demokratie, einzig und allein die UdSSR hat eine reale Demokratie. Diese reale Demokratie der UdSSR sei aber noch nicht der Endzustand. Die sozialistische Demokratie könne erst geschaffen werden, wenn überall in der Welt die formale durch die reale Demokratie abgelöst sei... Was ein über sämtliche Erdteile ausgedehntes Sibirien bedeuten würde, hat George Orwells bedrückende Vision vom Jahre „1984“ auch denen verdeutlicht, die es nicht wie die Völker Ost- und Mitteleuropas am eigenen Leibe erfuhren.

 Indes, diese Theorie der Bolschewiken ist ein Modell für die Denkweise der Diktaturen ganz allgemein. Sie folgen einem Gesetz ihres Wesens, wenn sie sich auf den Krieg vorbereiten. Wenn sie es nicht selbst tun, meinen sie, kommen ihnen die anderen zuvor. So wird die freie Außenwelt automatisch zur Begründung für jede neue Maßnahme der Aufrüstung, des Terrors innerhalb der Diktatur. Demgemäß kann man Diktaturen nicht „eindämmen“. Es gibt nur eine Sprache, die sie verstehen: die eigene Offensive. Je radikaler und massiver sich jemand ihnen gegenüber aufführt, je höher steigt er für sie im Preise. Je antibolschewistischer Hitler sich gebärdete, desto größer wurde sein Kurswert in den Augen Stalins, bis Stalins Liebeswerben 1939 endlich Erfolg hatte. Die Sprache der Beschwichtiger hingegen veranlaßt Moskau nur zu neuen Provokationen und Repressalien, weil sie für den Kreml Ausdruck der Schwäche ist.

 Der „Fall X“ droht also jederzeit. Wer diese Tatsache verdecken möchte, unter Hinweis auf Rüstungs- und Transportkalamitäten in der UdSSR, die zweifellos bestehen, übersieht, daß es darauf nicht immer ankommt. Stalin konnte ebensowenig wie Hitler rational klar entscheiden, ob er den Frieden retten oder zerstören wollte. Auf beide wirkte das eigene Werk, die eigene Ideologie und Propaganda zurück. So wie Hitler im Banne des, wie er glaubte, nationalsozialistischen deutschen Volkes stand, steht Stalin heute im Geisteszwang des Bolschewismus. Man vergesse nicht, daß die Regenten im Kreml alte Leute sind, die demgemäß dreißig und mehr Jahre unter dem ständigen Einfluß ihrer eigenen Lehren stehen. Und diese Lehren, in welchem der zahllosen Bücher man sie auch studiert, die es bereits darüber gibt, sind absolut eindeutig. Ziel ist die Weltrevolution, der Weg dahin die Liquidierung der bürgerlichen, kapitalistischen Welt.


Im Kommunistischen Manifest von Marx und Engels heißt es bereits im ersten Kapitel, das gegenwärtige Zeitalter sei das der Diktatur des Kapitals, das nächste müsse das der Diktatur des Proletariats sein. Wörtlich: „Der nächste Zweck der Kommunisten ist Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.“ Dazu im zweiten Kapitel die Erläuterung: „Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates – d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats – zu zentralisieren... Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen mittels despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Laufe der Bewegung über sich selbst hinaus treiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.“

Man täusche sich nicht über den ernsten Sinn der Sätze, mit welchen das Kommunistische Manifest schließt:

„Die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände... Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen: sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewa!tsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“

Stalin selbst definiert in seinen „Grundlagen des Leninismus“: „Die Diktatur des Proletariats ist die durch kein Gesetz beschränkte und auf dem Gewaltakt beruhende Herrschaft des Proletariats über das Bürgertum.“

 Das ist die Realität, mit welcher zu rechnen ist – der Rest ist Propaganda. Die alte Krake im Kreml hat ihre Fangarme, unmerklich erst und dann brutal, über den Erdteil vorgeschoben – sie wartet, wann und wie sie den übrigen Rumpf am bequemsten an sich ziehen kann.

 In diesem Falle wird nur derjenige bestehen, der sich vorbereitet hat. Ein gewisses Maß der Vorbereitung könnte überdies - da die Krake große Risiken scheut - die Katastrophe verzögern, wenn nicht gar verhindern...

Bürger und Partisan

 Alles, was geschieht, löst Kräfte aus, die gegenwirken, die eine Antwort geben, eine Reaktion darstellen. Die totalitären Bewegungen mit ihrem Zug der Entprivatisierung des Lebens rufen den Widerstand auf, zwingen den Menschen, die Sphäre seiner privaten Existenz, in welcher er frei bleiben will und muß, will er nicht zum Tier herabsinken oder zum tiergleichen Staatssklaven, zu verteidigen. Deshalb werden die totalitären Bewegungen zu Diktaturen, und es spricht durchaus für die intellektuelle Redlichkeit von Marx, daß er sich offen dazu bekannte, indem er seine neue Welt als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnete. Mit der Diktatur entsteht zugleich der Widerstand gegen sie, und darum muß die Diktatur vom ersten Tage ein umfassendes Kontrollorgan unterhalten, Gestapo, NKWD oder SSD, und immer weiter ausbauen. Wo drei Deutsche beieinanderstehen, soll Heydrich gesagt haben, ist einer von ihnen mein Spitzel – das ist das Ideal aller Geheimpolizisten!

 Mit der Einrichtung des Überwachungssystems ist nun all das endgültig vernichtet, was den totalitären Bewegungen zuvor für manche noch den Schimmer einer werbenden und erregenden Romantik verleihen konnte: von jetzt an bleibt nur der gewalttätige, skrupellose Polizeistaat übrig, alles andere ist Kulisse. Hinzu kommt, daß die Macht vor allem die Deklassierten verdirbt – Stalin ist kein Revolutionär mehr, sondern Despot, Diktator, ein moderner Dschingis Khan. Mit der Einführung des Kontrollorgans entstehen aus dem Widerstande des einzelnen Staatsbürgers die illegalen Bewegungen. Damit wird der Bürger zum Partisan. Diese Entwicklung, die sich selten als radikaler Sprung vollzieht, zumeist als allmähliches Hineinwachsen in eine neue Einstellung zu den Dingen (und demgemäß in eine neue Rolle im Leben, verändert die Akzentsetzung, also die Wertung, damit das gesamte Klima des Lebens – sie ist ebenso sehr ein geistiger wie ein politischer Vorgang.

 Der Bürger, von welcher Seite her man ihn auch definieren mag, hängt in bestimmtem Sinne mit dem Eigentum zusammen. Dieses Eigentum und, je nachdem wie weit er sich mit ihm identifiziert, muß geschützt werden – da beginnt (und endet) die bürgerliche Welt. Der Bürger ist der geschützte Mensch, der gesicherte Mensch, und die Sekurität ist sein bedeutendstes Problem. Um Schutz, um Sicherheit geht es ihm, und von hier gewinnt das Bürgerliche seine Größe und auch seine Tragik. Als mit der Neuzeit das Feudalsystem des Mittelalters abgelöst wurde, geschah es unter dieser Blickrichtung: an die Stelle der Willkür des einzelnen Fürsten oder Regenten trat das Recht, vor welchem alle gleich sind und das keinerlei Privilegien anerkennt. Niemand kann mehr nach Lust und Laune eines Potentaten verhaftet oder an Leib und Gut geschädigt werden. Das Recht wacht und wahrt die Unverletzlichkeit der privaten Sphäre des Lebens.

 Der Partisan ist der ungeschützte, ungesicherte Mensch, scheint es auf den ersten Blick. Indes, diese Charakterisierung ist nicht ausreichend. Er ist der Mensch, der aus dieser Schwäche, seiner Unsicherheit und Ungeschütztheit, eine Stärke macht. Der Partisan ist der Bürger, der sagt: Ihr nehmt mir mein Hab und Gut, nun wohl, jetzt bin ich beweglicher! Damit ist er mehr als ein Bürger, immer mehr gewesen: denn der Bürger ist mit seinem Eigentum verbunden, er endet geradezu mit dem Untergang des Besitzes. Der Partisan ist souverän: er verwandelt die Katastrophe in einen Vorzug. Alles ist nur das, was wir daraus machen – für den Partisanen ist der Verlust Befreiung.

 Sehen wir diese Verhältnisse in ihrer brutalen Schärfe. Der Soldat ist, als „zum Wehrdienst einberufener Bürger“, durch seine Uniform und internationale Abmachungen geschützt. Der Partisan ist vogelfrei. Er ist deshalb der absolute Kämpfer. Seine Sicherheit liegt in ihm selbst, seinem richtigen Verhalten, seiner Entschlossenheit, seiner Zähigkeit. Er hat keinen Stellvertreter, er ist „direkt zu Gott“.

 Lassen wir uns den Blick durch die Guerilla-Kämpfer in Korea nicht allzu sehr trüben. Die nordkoreanischen Partisanen sind, im wesentlichen, – wenn wir einmal von der in Europa üblichen Überschätzung dieser Kategorie abstrahieren – gepreßte Kulis. Zum Wesen des Partisanen gehört es aber, daß er aus sich selbst handelt. Die Partisanen in Rußland waren – wenn wir von den Nationalpartisanen absehen – in diesem strengen Sinne ebenfalls keine echten Partisanen, durften sie doch den Kampf erst nach funkentelegraphischer Rückfrage in Moskau oder bei einem Hauptquartier der Roten Armee aufnehmen – Verzögerungen, die vielen Partisanengruppen Freiheit und Leben kosteten. Der Partisan ist selbständig, eigenständig, autark. Der Partisan ist wirklich frei – weil nichts mehr an ihm hängt.

Patrioten der freien Welt

 Verweilen wir noch ein wenig bei der Gegenüberstel-lung von Bürger und Partisan. Dem Bürger entspricht im tiefsten der Nationalstaat. Beides ist zusammen ins Leben getreten, das moderne Bürgertum und der Nationalstaat, und beide sind direkt aufeinander bezogen.

 Damit begann das 19. Jahrhundert. Die Mitte des 20. Jahrhunderts zeigt eine ganz andere, diesen Verhältnissen sehr fremde Situation. Die nationalstaatlichen Kriege – die „klassischen Kriege“ – haben mit dem zweiten Weltkrieg geendet. Schon bald nach dem Waffenstillstand (bezeichnenderweise kam es zu keinem echten Frieden, der Krieg ging in Nachkrieg über) wurde in Europa – und besonders in Deutschland und vorzüglich in der deutschen Jugend – der zweite Weltkrieg als ein europäischer Bürgerkrieg (und Bruderkrieg) angesehen.

 Mit dem Übergang von den nationalstaatlichen Kriegen zu den umfassenden Bürgerkriegen tritt der Soldat, als der „zum Wehrdienst eingezogene Bürger“, zurück und der Partisan vor. Mit dem zweiten Weltkrieg war ja auch die altüberkommene, besonders in der preußischen und auch in der britischen Überlieferung begründete ethische Auffassung des Soldatentums, wie sie sich im „ritterlichen Kampf“ am besten zusammenfassen läßt, mit ganz wenigen Ausnahmen – wie etwa in Afrika – beendet. Der Soldat wurde, zweifellos im Zusammenhang mit der Entwicklung der modernen Waffen, durch die das Schwergewicht auf die Technik und das Technische verschoben wurde, – aber auch durch die brutale Härte des Partisanenkampfes – von seinen bisherigen ethischen Einordnungen gelöst. In meinem (unter dem Pseudonym Peter Bor erschienenen) Buche „Gespräche mit Halder“ hat sich Generaloberst Halder, einer der lautersten Vertreter des alten Soldatentums, bereits im zweiten Kapitel eingehend dazu geäußert. „Etwas ist verloren gegangen“, heißt es da, „ob unwiederbringlich, wir wissen es nicht. Gewiß, die Haltung dem Gegner gegenüber ist nur ein Teil der Ritterlichkeit, aber doch nicht der unwesentlichste. Ritterlichkeit setzt Vertrauen voraus, Vertrauen zwischen Mensch und Gott und zwischen Mensch und Mensch. Das Vertrauen war noch die Grundlage des kaiserlichen Heeres, in dem ich aufwuchs. Blättern wir, wozu uns ja heute mehr als Gelegenheit gegeben ist, die Erinnerungen und Tagebücher aus der Zeit des Hitler-Regimes durch, erkennen wir schnell, daß der auffällige Zug der neuen Hierarchie das Mißtrauen war, demgemäß Kampf, Intrige, Denunziation. Was der alte preußische Offizier ,Gnade‘ nannte, fehlte. Hitler selbst hat mir mehr als einmal gesagt:,Meine Stärke ist mein Mißtrauen.‘ Diese vermeintliche Stärke war im letzten die Bedingung seines Scheiterns. Leider nicht nur des seinen...“

 Die Frage ist, wieweit ein nicht durch die Umstände, die plötzlich hereinbrechen, herbeigeführtes, also „erzwungenes“, sondern ein darum wissendes, wirklich „freiwilliges“ Partisanentum den Menschen – und das Menschliche – wieder in die Mitte zu stellen vermag. Wunder sind nicht zu erwarten, aber wer sich über gewisse Dinge zuerst klar wird, kann am meisten zum Guten wirken.

 In Wahrheit ist ja, den Pessimisten zum Trotz, immer mehr Grund zur Hoffnung, als man annehmen möchte – wir aus dem Geschlechte derer, die „noch einmal davongekommen“ sind, sollten es wissen. Fassen wir jenen Tatbestand näher ins Auge, der sich darin zeigt, daß der Partisan sich nicht nur als Partisan, sondern wesensmäßig als „Bürger einer neuen Welt“ fühlt und fühlen muß! Daraus nämlich gewinnt er im Grunde seine unbezwingliche Kraft: daß er für eine Zukunft eintritt, die durch Zuwarten und Beschwichtigen nicht gewonnen wird. Er sieht das, was er hinter sich ließ und woran so viele noch hängen, als eine nun abgeschlossene Entwicklungsstufe an, als eine verbrauchte Form, die leer ist und fortan liegenbleiben darf. Er fühlt sich als Übergang: sein bedingungsloser Einsatz, der ihn charakterisiert, ist Ausdruck des Willens, die Schwelle zu überschreiten.

 Man darf vielleicht daraus schließen, daß, wo immer der Partisan beherrschend auftritt, eine Epoche abgelaufen ist und eine neue sich schmerzhaft vorbereitet. Das gilt besonders für die Zeit, da zum ersten Male im Deutschland der Neuzeit Partisanen eine Rolle spielten: für die napoleonische. Der Imperialismus des Korsen, sein hemmungsloses, nacktes Machtstreben, sein unerbittlicher, starrer Zentralismus riefen die Nationalstaaten und die nationalstaatliche Politik auf den Plan. Beide Gegner richteten sich aneinander auf, bewiesen ihre eigene Notwendigkeit durch die Existenz des verruchten anderen – und am Ende unterlag Napoleon, während die Nationalstaaten, weil sie damals vom Impuls der Freiheit getragen wurden, siegten.

 Eigentlich handelt es sich, ist man versucht, zu sagen, gar nicht um Menschen – Menschen wirken nur, soweit sie Medien sind, Träger von Ideen. Napoleon stieg wie ein Stern auf, solange die Völker glaubten, in ihm den Vorkämpfer auch ihrer Freiheit sehen zu dürfen – er fiel jäh ins Dunkel, als er seine ursprüngliche Idee verriet.

 Die Partisanen, solange sie wahrhaft der Freiheit dienen, können nicht untergehen. Indem sie durch ihren Kampf bekennen, daß sie nicht am umstrittenen Vergangenen oder am defekten Heute hängen, sondern daß sie ideell bereits im Morgen stehen, in der Weite der Zukunft, sind sie in einen umgreifenden Zusammenhang gestellt, gegen den kein nationalimperialistischer Terror, wie der Bolschewismus in seinen verschiedenen Formen, auf die Dauer aufkommen kann. Die Partisanen sind Patrioten der freien Welt – sie verteidigen nicht ein einzelnes Vaterland, sondern alle Vaterländer, den Ort des freien Menschen überhaupt. Daß das in der „Welt ohne Grenzen“ die einzige Möglichkeit ist, dem eigenen Vaterland zu dienen, wissen sie – es gibt keine andere. Der Nationalismus ist tot, wer sich von ihm nicht freimacht, hängt an vergangenen Jahren, die vielleicht erfreuen und seelisch erheben, nicht aber mehr praktisch helfen können. Wir schreiben das Jahr 1951 – nicht 1945, nicht 1933. Dieses Jahr 1951 müssen wir wollen – ohne Illusionen, aber auch ohne Furcht.

Die Chancen des Freiheitskampfes

 Wer die letzten Jahrzehnte denkend erlebt hat, zwölf Jahre Hitler, fünf Jahre sowjetische Besatzung in Deutschland, braucht keine Belehrung darüber, wofür Kampf und Einsatz lohnt. Das Leben unter der Diktatur, gleichgültig unter welchem Vorzeichen sie auftritt, ist nicht lebenswert. Wo immer Diktaturen erscheinen und sich über die Völker schieben, ersticken sie jedes private Leben, auf die Dauer jede Kultur, die nun einmal mit der persönlichen Freiheit untrennbar verbunden ist. Dennoch wird die Frage laut: lohnt es überhaupt, gegen die Diktaturen anzutreten? Haben es die Diktatoren nicht stets verstanden, mit Geheimpolizei, Spitzelsystem, Konzentrationslager, gelenkter öffentlicher Meinung, jeden Versuch einer Erhebung zu unterdrücken? Vorherrschend ist auch bei den Einsichtigen die Meinung; Diktaturen können nur von „außen“ gebrochen werden.

 Erlauben wir uns einen kleinen Exkurs in die Geschichte. Napoleons Stern begann zu sinken, als er in Spanien eingriff, sich damit – wie bald darauf mit seinem russischen Abenteuer – zu weit von seiner natürlichen Basis entfernte und überdies die echte Macht eines wirklichen Volkswillens unterschätzte. Der „Guerilla“, der „kleine Krieg“, mit welchem Spanien auf die französische Aggression reagierte, war der Anfang seines Unterganges. Denn er zeigte, daß einem entschlossenen Volke im letzten nichts unmöglich ist. Das spanische Beispiel machte Schule, und schon breitete sich, von Königsberg her, eine Erneuerungsbewegung, der „Tugendbund“, aus, der zugleich die nationalen und die allgemeinen sittlichen Gefühle wider den Korsen weckte. Auf dieser Welle war es möglich, daß Stein in einer Denkschrift vom August 1808 schrieb, was fortan kennzeichnend für alle Partisanenorganisationen und ihre propagandistische Untermauerung im Volke sein sollte: „... daß in der Nation das Gefühl des Unwillens erhalten werden müsse über den Druck und die Abhängigkeit von einem fremden, übermütigen, täglich haltloser werdenden Volk; – man muß die Unsrigen mit dem Gedanken der Selbsthilfe, der Aufopferung des Lebens und des Eigentums, das ohnehin bald ein Raub der Fremden wird, vertraut erhalten: – man muß gewisse Ideen über die Art, wie eine Insurrektion zu erregen und zu leiten, verbreiten und beleben.“

 Stein stellt in jener Denkschrift der Gewalttätigkeit Napoleons die List der Selbsterhaltung eines geknechteten und in seinem Bestand aufs schwerste bedrohten Volkes gegenüber. Um diese List zu wecken und zu fördern, müßte es, wie er näher ausführte, Mittel geben, „ohne daß die Regierung dabei tätig erscheint“. „Man muß sich mit dem Gedanken der Entbehrung jeder Art und des Todes selber vertraut machen, wenn man die Bahn betreten will, die man jetzt zu gehen sich vornimmt.“ Wichtig und unerläßlich sei es aber, „alle trägen, gegen edlere Gefühle abgestumpften, jeder Aufopferung und Hingebung unfähigen, elenden Menschen zu entfernen, die alle lähmen und verderben, und denen es nur um ruhigen Genuß ihrer Erbärmlichkeit zu tun ist.“ Wenig später schon mußte Stein aus Königsberg fliehen. Dennoch arbeitete er auch im Exil, in Prag und in Rußland, unablässig an der Verwirklichung dieser Ideen.

 Das nächste Jahr zeigte bereits den praktischen Erfolg: nach dem tapferen Widerstand der Spanier, nach der österreichischen Erhebung (Graf Stadion, Andreas Hofer) wurde auch der preußische Freiheitswille mit Dörnberg, Schill und dem Herzog Oels Tat. Der Oberst Dörnberg wollte mit Hilfe der hessischen Bevölkerung den König von Westfalen, „König Lustick“, in seiner eigenen Residenz in Kassel gefangennehmen. Der Aufstand brach zu früh los, und so scheiterte das ganze Unternehmen. (In der Altmark hatte ein Hauptmann von Katt ähnliches versucht und das gleiche Unglück gehabt.) Der Zug des Husaren-Majors von Schill und sein tragisches Ende sind bekannt genug. Begünstigter war die Operation der „Schwarzen Schar“ des Herzogs von Braunschweig-Oels. Der Schlußkampf der Schwarzen Schar um Braunschweig war schon eine richtige Partisanenschlacht im modernen Sinne. Dem Herzog gelang es, aus dem „Kessel Braunschweig“ auszubrechen, das Meer zu gewinnen und sich und seine Truppe nach England einzuschiffen, wo die Schwarze Schar ein Bestandteil der „Deutschen Legion“wurde und unter Befehl Wellingtons in Spanien weiterkämpfte.

  Diese historische Abschweifung zeigt, daß kein Volk von vornherein resignieren sollte, wenn es um die Verteidigung seiner Freiheit geht. Der illegale Kampf, denn nichts anderes ist ja das Partisanentum, ist nicht unehrenhaft, wenn es gegen einen Feind geht, der die höchsten Güter vernichten will. Und von diesem Kampf gilt, daß noch niemals etwas Bedeutendes auf den ersten Anhieb gelungen ist.

  Gegen den Einwand, das gelte vielleicht für das 19. Jahrhundert, habe aber für die Diktaturen des 20. Jahrhunderts keine Bedeutung, muß darauf verwiesen werden, daß die modernen Diktaturen einem ununterbrochenen Abwehrkampf in ilirem eigenen Inneren zu begegnen haben.

 Nehmen wir die Sowjet-Diktatur. Von Beginn an ist sie begleitet vom erbitterten Widerstand des russischen Volkes! Im Jahre 1918 bereits die Aufstände von Kasan, Irkutsk, Tambow, das seither Strafgebiet ist, Jaroslaw und Murom, das Gären im ganzen mittleren und unteren Wolga-Gebiet, so daß der Rat der Volkskommissare unterm 5. September das berüchtigte Dekret zum Massen-Terror erlassen mußte. Das Jahr 1921 zeigt den Aufstand der Baltischen Flotte in Kronstadt, die Bauern-Rebellion in Westsibirien, die Aufstände in Akmolinsk, Petropawlowsk, endlich den Antonowschen Aufstand. So geht es unablässig weiter: 1928 Aufstände im Distrikt von Zyrjansk in Transbaikalien, 1929 die Pasmatsch-Bewegung unter Reck in Mittelasien, die erst 1934 völlig vernichtet wurde, 1930 und darauf die Aufstände im Gebiet von Altai, im Kuban, im Nordkaukasus, in Westsibirien, Arbeiterunruhen und Streiks, Hungermarsch der Weber von Iwanowsk unter dem Partisanenführer Schubin auf Iwanowo und Moskau, der sich 1935 wieclerholte, schließlich der Aufstancl der Jungkommunisten gegen Jesho und Andrejew 1937, im gleichen Jahre eine Revolte in der Baltischen Flotte, Unruhen in den Fabriken Charkows, der Aufstand des 37. Regiments in Kiew, die Revolte des Eisenbahnerregimentes in Batajsk – als Höhepunkt clie Verschwörung des Marschalls Tuchatschewsky, der erste große, weitverzweigte und gut organisierte Versuch zum Sturze cles Regimes... und am Ende die freiwillige Kapitulation von rund 4 1/2 Millionen Solclaten der Roten Armee beim Nahen der Deutschen Wehrmacht, die die russische antikommunistische Organisation NTS „die erste Atombombe des zweiten Weltkrieges“ nannte...

 Wo man auch die Geschichte befragt, sie zeigt eindeutig, daß der Widerstand gegen eine Diktatur immer möglich ist. Von den verschiedenen Beispielen im alten China bis zu den Säuberungsprozessen der russischen Staatspartei – das natürliche Freiheitsstreben des Menschen und sein Gerechtigkeitsempfinden setzen sich am Ende stets durch. Man kann, ganz allgemein, sagen, daß bereits die bloße Existenz der Konzentrationslager beweist, daß Widerstand möglich ist – denn wäre er nicht möglich, brauchte die Diktatur diese in jedem Falle umständlichen und kostspieligen Einrichtungen nickt zu unterhalten.

Primat der Außenpolitik

 In der „Welt ohne Grenzen“ gibt es für keinen Staat mehr eine politische Autarkie. Man mag das bedauern, es handelt sich um ein Faktum, das von Gefühlsregungen unbeeinflußbar ist. Was immer in einem Staate politisch geschieht, muß sich – auf welchen Umwegen immer – auf den Gesamtzusammenhang auswirken. Deshalb gibt es eine reine Innenpolitik im strengen, „klassischen“ Sinne nicht mehr. Hat der weltweite Zusammenhang den begrenzten abgelöst, womit wohl unumgänglich eine tiefgreifende, allgemeine Krise verbunden sein muß, deren augenfälliger Ausdruck vielleicht der zweite Weltkrieg ist, muß sich alles, was in einem Staate politisch geschieht, nach dem richten, was außenpolitisch tragbar und förderlich ist – einen anderen Gesichtspunkt gibt es nicht mehr. Dieses „Primat der Außenpolitik“ kennzeichnet die weltpolitische Situation.

 Diese Feststellung bedeutet fraglos eine Revolutionierung des staatlichen und politischen Denkens. Die Begriffe „Ausland“, „Inland“, „Vaterland“, „Erdteil“, „Welt“, „Freund“ und „Feind“, „nationale Ehre“ und „Würde“, der Patriotismus im allgemeinen, was man auch heranzieht, sofort unterliegt es dieser Wandlung. Neue Kategorien verdrängen alte Klischees. Damit setzt unverzüglich bei denen, die nicht tief genug schauen, – oder zu sehr am Vergangenen hängen – eine Abwehr ein, die oft nur gefühlsmäßig ist, also undefiniert, gerade deshalb so schwer zu überwinden. In einem solchen Streit der Meinungen, der eigentlich gar keiner ist, weil sich die Dinge längst entschieden haben, droht die neue Konzeption unterzugehen. Sie verfängt sich in Netzen und Schlingen, die der zweite Weltkrieg legte: Kollaboration, Verständigung mit dem ehemaligen Landesfeind, Hochverrat...

 Diese Verhältnisse sind indes nicht neu. Als der Reichsfreiherr vom Stein nach Rußland emigrierte, am Zarenhof Zuflucht suchte und fand und sofort begann, den – zunächst zögernden, sehr labilen, unsicheren – Zaren gegen Napoleon zu aktivieren, wurde in Preußen in vielen Kreisen der Vorwurf erhoben, Stein habe sich mit einem Landesfeind und üblen Verräter an einen Tisch gesetzt und damit seine Ehre verloren. Der Zar hatte sich nämlich, unter Bruch des Bardensteiner Vertrages, der ihn an die Seite des preußischen Königs gebunden hätte, von Preußen ab- und dem korsischen Diktator zugewandt. Diesen Treuebruch, bei welchem es der Zar noch nicht einmal für nötig befunden hatte, den preußischen König von seinem Bündniswechsel auch nur zu verständigen, verzieh man Alexander nicht. Und dennoch, das bewies die Geschichte nur zu eindeutig, hatte Stein recht, als er nach Moskau ging, und die Urteile und Meinungen der preußischen Patrioten waren wohl edel aber falsch. In Preußen hatte man die Realität nicht richtig eingeschätzt, die sehr nüchtern so aussah: der Terror des Diktators ist nur mit Hilfe einer anderen Macht zu brechen, wenn man selbst keine wirkliche Macht mehr ist. Als diese andere Macht bot sich damals allein Rußland an, das nicht das Rußland Stalins war, sondern – im Gegensatz zu dem Emporkömmling Napoleon – auf der Seite der Orclnung stand, auf der Seite der Freiheit der Völker, die der Korse vergewaltigte. Die Erhebungen und Aufstände im eigenen Lande scheiterten sämtlich – erst im Bunde mit der befreundeten Macht trat die Wendung ein.

 – Den Demagogen, die in Deutschland mit Vorliebe auf diese „russophile“ Vergangenheit Preußens hinweisen, um damit eine ähnliche Haltung in der doch völlig gewandelten Lage zu propagieren, darf man zweierlei erwidern. Einmal war Rußland, wie bereits unterstrichen, damals im Bündnis mit denen, die gegen Napoleon die Freiheit verteidigten, und nicht wie heute die Vorhut des Terrors. Zum anderen gab es zu Zeiten des Reichsfreiherrn vom Stein ein echtes Nationalgefühl, das der Zar nicht nur respektierte, sondern für das er im Grunde ja in den Kampf eintrat, – während wir heute bestenfalls von einem,,potemkinschen“ Nationalgefühl sprechen können, wenn wir an die Sowjet-Union – und etwa an die Geschichte des sogenannten National-Komitees Freies Deutschland – denken. –

 Der Partisan wird zu diesen theoretischen Erörterungen von seiner Praxis her einiges anzufügen haben. Wirksamer Widerstand, ein Freiheitskampf, der nicht nur nationalen Gefühlen entgegenkommt, sondern der Aussicht auf Erfolg hat, setzt Hilfe und Verständigung im Ausland voraus. Gewiß, die Revolution in China unter Sun Yat-Sen im Jahre 1911 kam ebenfalls aus dem Ausland, sie wurde dort aber von den Chinesen geschürt und finanziert, blieb also – trotzdem die Quellen im Ausland waren – eine rein chinesische Angelegenheit. Das Jahr 1951 ist leider nicht das Jahr 1911. Nehmen wir ein ancleres Beispiel. Als Hitler 1933 die Macht übernahm, ließen die Kommunisten – in dem fatalen Irrglauben, es handle sich nur um eine Episode und diese Episode werde nicht nur schnell vorbeigehen, sondern die Belange der Weltrevolution sogar fördern, – die meisten ihrer zentralen Körperschaften im Lande. Als nach und nach die Gestapo alle illegalen Hauptquartiere aushob, bequemte man sich in Moskau zu einer ernsteren Beurteilung der Situation. Von da an wurden alle Zentren, auch die Leitstellen, in das benachbarte Ausland gelegt, in das Saargebiet, in die Tschechoslowakei, in die Schweiz, so daß in Deutschland keine Verbindung mehr über den Kreisbereich hinausging. Jeder Kontakt im Bezirksmaßstab lief über das Ausland, und von da an waren die Illegalen besser gedeckt. Daraus folgt, daß sich der Generalstab und die oberste, die einzelnen Gruppen koordinierende Führung der Freiheitsbewegung niemals im unterdrückten Lande selbst befinden darf.

 Das erste Gebot des Partisanen heißt Sicherheit. Die einzelnen aktiven Gruppen dürfen nur so viel wissen, wie zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Je weniger sie von der Gesamtverbindung kennen, desto besser für alle anderen, die mit im Kampfe stehen und ihre Haut zum Markte tragen. Versrhwiegenheit hört bei einem gewissen Grade der Tortur auf, und diesen Grad wissen die bolschewistischen Experten gelegentlich zu überschreiten. Verraten kann man immer nur das, was man weiß. Je weniger der Widerstandskämpfer von seinen Kameraden weiß, je weniger kann er sie gefährden, wenn er einmal erkannt und verhaftet wird – und desto leichter kann man ihm von „außen“ helfen.

 Die Freiheitsbewegung wird deshalb die wesentlichen Verbindungen nicht von Gruppe zu Gruppe, sondern über das Ausland ziehen. Und dieses Ausland ist auch deshalb erforderlich, weil die Zentrale nur mit Hilfe der Möglichkeiten des Auslandes das Nachrichtenmonopol der Diktatur brechen kann. Schließlich ist die Verankerung im Ausland des weiteren erwünscht, weil es dadurch möglich ist, für die fraglos eintretenden Fälle plötzlicher Gefährdung eines aktiven Kämpfers Vorsorge zu treffen, indem man ihn schnell und in wirkliche Sicherheit bringt.

 Methodische Hinweise gehen über den Rahmen hinaus, der für diese Studie gezogen ist. Wollen wir zusammenfassen, was im vorstehenden behandelt wurde, darf man wohl den Satz wagen: in der „Welt ohne Grenzen“ gibt es keine Freiheitsbewegung, die sich auf eine einzige Station beschränken kann.

  Das „Primat der Außenpolitik“ gewinnt dadurch ein neues Licht. Das Odium der Kollaboration und der Verbündung mit den Landesfremden schwindet: die Stärke der Nation ermißt sich im Zeitalter des weltweiten Zusammenhanges nicht daran, was sie eifersüchtig abstößt, sondern daran, was sie aufnehmen, verarbeiten und damit auch von sich aus durchringen und prägen kann.

  Die Nation muß sich erweitern, sie wird damit zum „Wuchsstoff“ für das, was seit je die Grenzen des Nationalen überschnitt – sie muß, recht verstanden, nicht schwächer, sondern stärker werden.

Neutralität oder Bereitschaft?

 Die Formel vom „Primat der Außenpolitik“ läßt sich auch anders fassen. Dann besagt sie, daß es in der „Welt ohne Grenzen“ keine Isolierung und also auch keine Neutralität mehr gibt. Neutralität bedeutet in einem Konflikt sowohl unabhängig als auch unberührt bleiben. Es ist keine Frage, daß Neutralität in diesem Sinne – echte Neutralität – Stärke voraussetzt. Neutralität besteht nur, wenn es möglich ist, sie gegen jeden Versuch der Störung zu wahren.

  Beziehen wir uns hier auf die abwegigen Gedankengänge jener, die Deutschland in der Situation von 1951 neutral halten wollen. Es ist offensichtlich, daß dieses Deutschland nicht in der Lage ist, sich gegen irgendeine anmarschierende Armee neutral zu halten: weil es ganz einfach nicht dafür sorgen könnte, daß es in dem Konflikt unberührt bliebe. Weder die Russen noch die Satellitentruppen des Kremls würden an Deutschland vorbeimarschieren, wenn sie zu ihrem großen raid gegen Westeuropa antreten. Der Ausspruch des ehemaligen Generals Remer, im Kriegsfalle müßten die Deutschen sich an die Straßen stellen und als Verkehrsregler den Russen zurufen: Freie Fahrt nach Calais, ist ebenso dumm wie gewissenlos.

 Daß diese „Verkehrsregler“ samt und sonders gen Osten marschieren würden, trotz ihrer prosowjetischen Gesinnung, dürfte Remer wissen. Die Rote Armee kann keine größere Ansammlung wehrfähiger Männer im rückwärtigen Operationsgebiet gebrauchen, deshalb würde sie alle marschfähigen Deutschen – ob diese nun heimlich oder offen für den Kampffond der westdeutschen KP gezeichnet haben oder nicht (und ob sie einen der köstlichen „Neutralitätsausweise“ des findigen Hamburger Eigenheimpolitikers vorzeigen können oder nicht) – abtransportieren, mit der ihr eigenen Humanität.

  Blicken wir auf einen wirklich neutralen Staat, auf die Schweiz, zerfallen die weltfremden Spekulationen der Herren Remer, Noack, Gerecke, Niemöller, Kögler und wie sie alle heißen, sofort in nichts zusammen. Bereits am 22. März 1949 hat der Schweizer Nationalrat mit 80 gegen 40 Stimmen das Höchstalter für die Dienstpßicht auf sechzig Jahre hinaufgesetzt, mit 90 gegen 6 Stimmen den vom Bundesrat geforderten Kredit von 108 Millionen Schweizer Franken für den Ankauf von hundert neuen britischen Düsenjägern genehmigt, – und Ende 1949 nahm er den Militärhaushalt für 1950 in Höhe von 446 Millionen Franken an, der damit um 50 Millionen höher lag als der für das Vorjahr. Der Militärhaushalt für 1951 endlich wurde auf 720 Millionen Franken festgelegt! Außerdem dekretierte der Ständerat im März 1950, daß Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in der Schweiz weiterhin strafbar bleibt! Die Schweizer sind sehr nüchterne Leute, sie sind sich darüber klar, daß gegen die Panzer der Roten Armee humanitäre Leitartikel verhältnismäßig wirkungslos sind.

 Nicht anders liegen die Verhältnisse übrigens in Schweden. Im März 1949 stimmte der schwedische Reichstag der Vorlage des Verteidigungsministers, 100 Millionen Kronen für neue Waffen zu genehmigen, nicht nur zu, sondern bewilligte noch 25 Millionen Kronen mehr. Das Budget für Rüstungsausgaben wurde für 1931 mit 1 Milliarde Kronen fixiert, während in den fünf Jahren von 1945 bis 1950 insgesamt nur 1,3 Milliarden Kronen verbraucht worden waren. Worauf es ankommt, hat der Schweizer General Guisan schon 1948 sehr prägnant ausgedrückt: vor der Gefahr eines totalen Krieges gibt es nur den Willen zur totalen Verteidigung. Die Möglichkeiten der Schweiz und Schwedens, sich im gegebenen Falle neutral zu halten, sind sicherlich erheblich größer als die des nicht einmal souveränen, in sich zerrissenen Staatengebildes Deutschland, und dennoch vertraut man dort nicht zu sehr auf Begriffe, die im Zeitalter der „Welt ohne Grenzen“ an Bedeutung erheblich eingebüßt haben.

 Um der Gefahr zu entgehen, zwischen den Mühlsteinen zerrieben zu werden, muß sich Deutschland im sogenannten West-Ost-Konflikt klar entscheiden. Jeder Versuch, eine Entscheidung zu umgehen, ist unrealistisch. Daß sich Deutschland nicht für die entscheidet, die den Mord und die Vergewaltigung gutheißen, die die Rote Armee seit 1945 über Ost- und Mitteleuropa gebracht hat, ist eine Selbstverständlichkeit.

 Die Bereitschaft, die Freiheit auch in Deutschland zu verteidigen, hat nichts zu tun mit der Sympathie für irgendeine Besatzungsmacht, – sie ist nichts als der schlichte Ausdruck des deutschen Willens zum Leben. Da das Leben nicht lebenswert wäre, wenn sich der Eiserne Vorhang auch über Westeuropa senkt, sind wir entschlossen, alles zu tun, diese Tragödie zu verhindern.

 Die Sowjetkommunisten wollen ja auch gar nicht, daß Deutschland eine echte Neutralität erhält. Was sie Deutschland zugestehen, ist nicht die Neutralität der Stärke, sondern die „ohne-uns“-Neutralität, die Neutralität der Selbstaufgabe. Die Geschicklichkeit, mit welcher sie es für manche unserer Landsleute verstehen, diese Unterscheidung zu vertuschen, ist schon ein Abschnitt des Kampfes um Westeuropa selbst. Indem wir hier eindeutig feststellen, was gemeint ist und um was es in Wahrheit geht, weisen wir eine der vielen Offensiven im psychologischen Krieg zwischen Freiheit und Diktatur zurück.
Wir vereiteln manche neue Offensive der Propagandisten des Kremls, wenn wir darüber hinaus feststellen: das Problem ist nicht, ob wir uns „remilitarisieren“ lassen wollen oder nicht, sondern ob wir kollektiv Selbstmord begehen wollen oder nicht. Wenn wir uns weigern, unsere Freiheit zu verteidigen, werden wir uns nicht beklagen dürfen, wenn wir eines Tages das Schicksal der Wolgadeutschen erleiden. Die Wolgadeutsche Republik wurde im Jahre 1941 aufgelöst, und sämtliche 40 000 deutschstämmigen Bewohner, gute Sowjetbürger zumeist, wurden deportiert. Ihr Schicksal ist unbekannt, das Weltgewissen hat sich ihrethalben nicht geregt...

Im Falle X...

 Wenn man sich umhört im Westen, wohin man auch geht, ein Problem beschäftigt alle: was kann man tun, wenn die Bolschewiken kommen? Daß es keinen nennenswerten Unterschied macht, ob sie in Gestalt der Rotarmisten oder fanatisierter Volkspolizei (die freilich wohl nie selbständig, sondern nur im „Schatten“ der sowjetischen Panzer zum Einsatz kommen dürfte) erscheinen, wissen die meisten – zumindest die, die das Benehmen der Deutschen vom Nationalkomitee Freies Deutschland im Rahmen der Roten Armee während der Eroberung Ostdeutschlands erleben mußten. Kaum gibt es eine Stadt, in welcher sich nicht kleine Gruppen zusammengeschlossen, ein bestimmtes Kennwort verabredet und einen LKW mit zweihundert Litern Benzin bereitgestellt haben. Begüterte unterhalten Motorschiffe an verschwiegenen Stellen der Nordseeküste, weniger Begüterte Paddelboote am Bodensee. Phantasten tragen eine Flugkarte nach London in der Tasche, Realisten eine zweite Kennkarte. Gibt es jemarid, der nicht für den Fall X einen mehr oder weniger nüchternen Plan besitzt? Die Zahl derer, die meint, es werde schon nicht so schlimm werden, ist in Europa sehr zusammengeschmolzen. Zu viele Erfahrungen liegen zu diesem allzu konkreten Problem vor. Selbst unter der Pariser Boheme, im Viertel um die alte Kirche Saint Germain des Pres, hörte ich die zwar fatalistische, indes doch sehr sachliche Bemerkung: „Wir erkennen sehr genau, daß wir eines Tages verschlungen werden. Bedauerlich ist, daß wir nicht mehr dagegen tun können, als die Zutaten zu bestimmen, mit denen wir verspeist werden...“

 Ist es wirklich so? Können wir nicht mehr tun, als die Umstände des Untergangs ein wenig beeinflussen? Wenn es so wäre, das Abendland wäre verloren, gleichgültig ob die Russen kämen oder nicht! Da gibt es freilich noch eine Kategorie von Menschen, von denen man kaum je etwas hört, nie ein öffentliches Bekenntnis, selten auch, daß sie einander kennen. Und doch bilden sie eine geheime Gesellschaft, die wie ein Netz durch die Länder zieht. Es sind die, die an keinen Tischgesprächen teilnehmen, die die fruchtlosen, intellektuellen Diskussionen meiden, die aber auf ihre Bergschuhe in der Ecke blicken und wissen, daß sie sich im Falle X auf die Straße begeben und dem ersten kämpfenden Haufen anschließen werden. Nicht aus Idealismus, nicht aus Weltanschauung, sondern einfach aus Instinkt, aus Gründen der Selbsterhaltung: wenn das sowjetische System auch Westeuropa erfaßt, hat das Leben aufgehört, lebenswert zu sein. Weiterer Motive bedarf es nicht.

 Hier, in dieser Frage, tritt zweifellos die Trennung zwischen „Bürger“ und „Partisan“ in unserem Sinne am augenfälligsten hervor.

 Das darf freilich nicht falsch verstanden werden. Gewiß wird der, der Besitz hat und um diesen Besitz notwendigerweise bangt, wenn die Russen einrücken, zunächst dazu neigen, mit den neuen Besetzern zu einem einigermaßen erträglichen modus vivendi zu kommen. Allein, gerade aus der Sorge um seinen Besitz heraus wird er auch bald genug erfahren, wie wenig es möglich ist, als „Privatkapitalist“ in einer Welt zu leben, die jeglichen Privatkapitalismus, sei er auch noch so klein, radikal beseitigt. So wird der „Bürger“ ebenfalls über kurz oder lang zum Partisanen, zu einem Widerstandskämpfer, – doch wird dieser Partisan auf einer anderen Ebene und in anderer Weise Widerstand leisten als der primäre Partisan, wie wir ihn beschrieben.

 Grundsätzlich treten bei einer bolschewistischen Invasion die gleichen Verhältnisse in Westeuropa ein, die unsere Brüder und Schwestern jenseits des Eisernen Vorhanges bereits seit sechs Jahren erleiden. Grundsätzlich müssen deshalb die Erfahrungen, die drüben gesammelt worden sind, teilweise unter Opfer von Freiheit und Leben, für den Fall X verwertet werden. Was die Zustände nach dem Fall X von denen unterscheidet, die in den Staaten des Ostblocks herrschen, ist dies: während sich der Widerstand dort innerhalb der Grenzen des passiven und in gewisser Weise allerdings auch des aktiven Widerstandes realisiert, kommt nach dem Tage X der offene Widerstand hinzu.

Passiver Widerstand besteht in der Sorge, sich nicht gleichschalten zu lassen, also im Sichentziehen, etwa in der Verweigerung der Lektüre der offiziellen Publikationen, der Mitgliedschaft in den offiziellen Parteien, der Teilnahme an den offiziellen Veranstaltungen.

Aktiver Widerstand geht einen Schritt weiter: auch die anderen sollen sich nicht gleichschalten lassen, man ist gegenüber der von der Diktatur befohlenen Weltanschauung nicht nur skeptisch, sondern überträgt diese Skepsis auch auf andere. Die Nachrichten der freien Welt werden nicht mehr im stillen Kämmerlein für sich selbst verarbeitet, sondern den anderen mitgeteilt. Hierzu gehört die Sabotage und alles, was getan oder zugelassen wird, um die Diktatur zu zersetzen oder zu stören.

Offener Widerstand ist dann gegeben, wenn geschossen und gesprengt wird: der Partisan tritt auf.

 Wie die zu kämpfen haben, die den Mut zum offenen Widerstand aufbringen, kann im Rahmen dieser Studie nicht behandelt werden. Es hängt weitgehend von den Umständen ab, die sich als operative Möglichkeiten für die einrückende Rote Armee generalstabsmäßig errechnen lassen. Indes soll nicht vergessen werden, einige Punkte zu behandeln, die den Widerstandskampf ganz allgemein charakterisieren. Dazu ist einleitend zu sagen, daß die Anwendung dieser Grundsätze die sowjetische Zone bislang vor der vollständigen Bolschewisierung bewahrt hat. Am guten Willen des Kreml, auch die deutsche Sowjetzone wie die anderen Satellitenstaaten zu verschlucken, kann nicht gezweifelt werden. Wenn das bislang nicht geschah, wenn das Politbüro der SED in Ostberlin noch immer nicht in die Kominform aufgenommen wurde, so doch nur, weil die Sowjets den Deutschen noch immer mißtrauen! Das ist die große Bedeutung der Flugzettel, die in der Zone des Terrors verteilt werden, der weißen F (Freiheit) und grünen W (Widerstand), die man an den Mauern findet, der Flüsterwitze – und der Liebesgaben aus dem Westen!

A: Die Propaganda als Bumerang

 Heinrich Heine erzählt in seinem Buch über Börne folgende Geschichte: „Während sein Heer mit den Langobarden kämpfte, saß der König der Heruler ruhig in seinem Zelte und spielte Schach. Er bedrohte mit dem Tode denjenigen, der ihm eine Niederlage melden würde. Der Späher, der, auf einem Baume sitzend, dem Kampfe zuschaute, rief immer:,Wir siegen! wir siegen!‘ – bis er endlich laut aufseufzte: ,Unglücklicher König! Unglückliches Volk der Heruler!‘ Da merkte der König, daß die Schlacht verloren, aber zu spät! Denn die Langobarden drangen zu gleicher Zeit in sein Zelt und erstachen ihn...“

 Diese Geschichte zeigt die Kehrseite der totalitären Propaganda: sie blendet am Ende auch den, der sie produziert. Hitler hat ein ungeheures und katastrophales Beispiel dafür gegeben. 1939 glaubte er auf Grund seiner eigenen Propaganda von den dekadenten und lebensuntüchtigen Demokratien, der Westen werde wegen des kleinen Polen nicht den Krieg beginnen, da er doch die strategisch bedeutsamere, besser gerüstete Tschechei ausgeliefert hatte – 1941 unterschätzte er die Zähigkeit und Härte Rußlands –, schließlich beurteilte er die USA sowohl im Hinblick auf ihr Rüstungspotential als auch auf ihre Kampfkraft, ihre „moralische Härte“ völlig falsch. Stalin und das Politbüro haben freilich nicht weniger krasse Illustrationen geliefert! Zunächst rechneten sie von 1917 bis 1923 ständig mit der unmittelbar bevorstehenden Weltrevolution. Dann lebten sie 1929 in der Furcht, der französische Imperialismus (!) bedrohe die UdSSR. 1933 hielten sie Hitlers Machtergreifung für einen „Abkürzungsweg zur Weltrevolution“ und ein „kurzes Zwischenspiel“ (man lese die Kominternprotokolle aus jenen Jahren!). 1941 ließen sie sich durch nichts überzeugen, Hitler werde Rußland angreifen und seit 1945 stellen sie ihre sämtlichen politischen Maßnahmen auf die marxistisch-leninistische Hypothese ab, in Amerika werde infolge der Massenentlassungen der Armee und der Abrüstung eine Wirt-chaftskrise größten Ausmaßes ausbrechen und die amerikanische Demokratie matt setzen. Nicht zuletzt sei Koreas gedacht, wo die Sowjets 1950 den Nordkoreanern kaum den Marschbefehl gegeben hätten, wenn sie – im gleichen Irrglauben an die mangelnde moralische Härte der amerikanischen Bevölkerung, dem bereits Hitler erlag – mit der unverzüglichen Reaktion Amerikas und der Vereinten Nationen gerechnet hätten.

 Dadurch, daß die Widerstandsbewegung durch ihr eigenes Nachrichtennetz, das in jedem Falle eine Verbindung ins freie Ausland haben muß, dem Nachrichtenmonopol der Diktatur nicht unterliegt, wird sie zunehmend dem Regime an Einsicht und Voraussicht überlegen. Man unterschätze diesen Punkt nicht! Alle Nachrichten unterliegen der Auswahl, Färbung und Steuerung der Diktatur und ihres Propaganda- oder Informationsministeriums. Selbst ein an sich antidiktatorisch eingestellter Mensch wird, wenn er nur lange genug dem Propagandatrommelfeuer ausgesetzt st, allmählich wankend in seiner Anschauung und fängt an, – das ist die erste positive Wirkung der Propaganda! – gewisse Dinge nicht mehr als Propaganda, sondern als objektive Nachrichten zu werten. Von hier bis zum Anhänger des Regimes sind nur wenige Schritte, die desto schneller zurückgelegt werden, je jünger der Betreffende ist und je weniger Vergleichsmöglichkeiten er hat.

 Deshalb ist bereits die objektive Nachricht, in die Zone des Terrors gebracht, aktive Gegenpropaganda gegen die Diktatur. Wesentlich ist also, daß die Träger des Widerstandes dem Nachrichtenmonopol der Diktatur nicht unterliegen, sondern in der Lage sind, die Sender der freien Welt zu hören und ihre Zeitungen – oder Zeitungsausschnitte – zu studieren. Das müssen nicht immer alle Mitglieder der Widerstandsbewegung tun, doch sollte in jeder Gruppe einer diese Verbindung zur freien Welt halten. Dadurch ist es möglich, gewisse Maßnahmen der Politik ruhiger und sachlicher zu beurteilen, als es sonst möglich wäre. Realistischere Entscheidungen, auf Grund objektiver Nachricht getroffen, gleichen die materielle Unterlegenheit der Widerständler aus.

B: Die zweite Seite der Ideologie

  Die Staatspartei bringt, um das Leben möglichst lückenlos „erfassen“ zu können, ein lückenloses System der „Wahrheit“ mit. Wie für jeden Doktrinär befindet sich auch für sie der Vertreter einer anderen Meinung nicht im Irrtum, sondern in der „Sünde“: er ist verworfen, und der Gedanke, ihn auszurotten, liegt nahe. Eine solche offizielle Weltanschauung, die aus Furcht um die Unantastbarkeit ihrer Systematik starr ist und unnachgiebig, wird schnell in Gegensatz zum ständig fließenden Leben geraten, in Gegensatz zu veränderten Verhältnissen, zum „gesunden Menschenverstand“ und zu den Ergebnissen der exakten Wissenschaften.

 Das deutsche Volk hat in den zwölf Jahren des Dritten Reiches Gelegenheit gehabt, die Dogmen der Reinheit der nordischen Rasse und des germanischen Führungsanspruches an den Gestalten derer zu studieren, die sie so fanatisch vertraten und lehrten. Nicht anders verhält es sich mit dem Marxismus.

 Wer als junger Russe unbefangen die Bücher von Marx und Engels liest, wird eine erstaunliche Entdeckung machen. Die Lehre der beiden Deutschen gilt offensichtlich den Unterdrückten und Ausgebeuteten, und mit der Befreiung dieser Unterdrückten (der „Expropriation der Exproriierten“, um in der marxistischen Terminologie zu sprechen) sollten nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Menschheit „erlöst“ werden. Wenn sich der junge Russe aber in seinem Vaterlande umsieht, findet er, daß die Unterdrückung und Ausbeutung keineswegs aufgehört hat. Nach wie vor gibt es eine absolut unterdrückte und niedergehaltene, durch ein in der Geschichte beispielloses Spitzel- und Terrorsystem geknebelte Klasse, die Klasse aller derer, die keine Bonzen sind. Der junge Russe wird feststellen, daß Marx und Engels, gleichgültig wie man sonst zu ihrer Lehre steht, für diese Klasse – und nicht für die Bonzen – geschrieben haben.

 Hier eröffnet sich ein weiterer Weg des Widerstandes. Der Widerständler kann mühelos die Sprache des Regimes sprechen und das Regime dennoch ad absurdum führen. Das heißt, der Widerständler kann sich, ohne große Schwierigkeiten, als ein um die Reinheit der Lehre besorgter orthodoxer Marxist geben – wenn er etwa darauf hinweist, daß das von Lenin geforderte „Absterben“ des Staates mit der Monstrebürokratie des Sowjetstaates nicht recht zusammenpaßt, oder daß die Stachanow-Hennecke-Bewegung in direktem Widerspruch zur alten kommunistischen Parole „Akkord ist Mord“ steht, um nur zwei Beispiele zu nennen.

  Noch bessere Möglichkeiten ergeben sich, wenn man auch die ununterbrochen wechselnde Parteilinie verfolgt und die Haltung von gestern mit der von heute vergleicht. Da werden alte Bolschewiken als „Sektierer“ gebrandmarkt, weil sie die Politik der Werbung um die SPD nicht mitmachen wollen, nachdem kurz zuvor andere aus der Partei ausgestoßen wurden, weil sie sich der SPD genähert haben sollen. Nicht umsonst wird in der UdSSR jede ältere Ausgabe der Geschichte der bolschewistischen Partei eingezogen und vernichtet, sobald eine neue Ausgabe mit den entsprechenden „Berichtigungen“ erschienen ist. Ebenso war es während des Krieges in Deutschland nur erlaubt, Abschnitte aus „Mein Kampf“ nach Rückfrage bei der Kanzlei des Führers und Führerreden, die älter als sechs Monate waren, nur mit Genehmigung des Propagandaministeriums zu zitieren.

C: Die Schwäche der Staatspartei

 Dadurch, daß eine Partei nahezu das gesamte Volk in seine Reihen zieht, nimmt sie auch ihre Gegner auf – und schützt diese dadurch. In den letzten Jahren haben die Diktaturen einen taktischen Kunstgriff angewandt. Sie behalten der Staatspartei nur die Zuverlässigen vor, entwickeln im übrigen eine kleine Zahl indifferenter, den jeweiligen Bedürfnissen der betreffenden Volksmentalität angepaßter Parteien, die jedoch keine echte Selbständigkeit haben, sondern – mit dem Fachwort – „Blockparteien“ sind. In der Sowjetunion gibt es nur eine Partei, die bolschewistische, in den meisten Satellitenstaaten gibt es zunächst noch mehrere Parteien. Aber so wie in der Sowjetunion nur eine Partei gewählt werden kann, kann auch in den Satellitenstaaten nur eine einzige Partei, die Staatspartei, gewählt werden: weil alle Parteien ein gemeinsames Wahlprogramm aufzustellen haben, das natürlich von der Staatspartei diktiert wird.

 Alle Diktaturen lehren, daß der größte Widerstand aus der Staatspartei selbst kommt. Gerade hier, wo die absolut Sicheren sitzen sollen, werden die schärfsten Kampfansagen gegen das totalitäre Regime erhoben. Der erste, der die westliche Welt gegen Hitler in Bewegung brachte, war – mit seinem Buche „Gespräche mit Hitler“ – der frühere nationalsozialistische Senatspräsident von Danzig, Hermann Rauschning. Den bedeutendsten publizistischen Erfolg im psychologischen Kriege konnte auf der antibolschewistischen Seite – mit seinem Buch „Ich wählte die Freiheit“ – der sowjetische Wehrwirtschaftsfühter Viktor Krawtschenko verzeichnen. Viele ehemalige hohe Bolschewisten folgen ihm dicht nach mit ihren Memoiren, und nicht klein ist die Zahl der ehemaligen aktiven Kommunisten, die von ihrem Gesinnungswechsel öffentlich Zeugnis ablegen und nun mit dem gleichen Fanatismus – nur in umgekehrter Richtung – weiterkämpfen, wie Arthur Koestler und Margarete Buber-Neumann, Boris Souvarine ureid Ignazio Silone. Deshalb befolgt der Widerstandskämpfer die Weisung: „In die Partei hinein!“ Er hat dafür drei gute Gründe, auch wenn er sich nur einer Blockpartei und nicht der Staatspartei selbst zuwendet:

1. er ist durch seinen Parteieintritt getarnt, dadurch weitgehend geschützt,
2. er erweitert seinen Erfahrungs- und zugleich auch seinen Wirkungskreis,
3. er fasert damit die Staatspartei oder das System der Blockparteien von unten her auf.

 Diese Politik der „Infiltration“ ist eine sehr delikate Angelegenheit, vielleicht sogar eine hohe Kunst. Der Infiltrant darf nicht auffallen – weder durch Passivität noch durch übergroße Aktivität. Es besteht die Möglichkeit, daß die infiltrierte Partei den Infiltranten allmählich unter ihren Einfluß bringt – was die Gefahr heraufbeschwört, daß er nunmehr „umgestellt“ und gegen die Widerstandsbewegung angesetzt wird. Alles hängt von der moralischen Stärke der Widerstandsbewegung ab. Hier arbeitet ihr die Diktatur freilich in die Hand: den Terror, den das Regime täglich demonstriert, bekämpft der Mensch aus einer natürlichen Liebe zur Freiheit, und je unbeugsamer, grausamer und härter das Regime wird, je mehr wächst die Bereitschaft zur Kampfansage. In jedem Falle ist die Infiltration eine ausgezeichnete Waffe. Man denke nur an eines der glänzendsten Beispiele für ihre Methode, daß nämlich der russische Kommunist Sinowjew im Jahre 1920 auf dem Parteitag der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei in Halle durch eine kluge Rede und geschickte Agitation diese Partei praktisch auflöste und in die KP überführte!

 Auf die Verhältnisse hinter dem Eisernen Vorhang angewandt, läßt sich zusammenfassend sagen, daß die Diktatur durch ihre Aufblähung Menschen braucht, für ihren ständig wachsenden bürokratischenApparat, für ihre Polizeiarmeen und Milizen, für ihre Fabriken und Schulen, und daß dadurch der Widerstandskämpfer nicht nur die beste Möglichkeit der Tarnung erhält, sondern auch die weitere, sich Informationen und Waffen zu beschaffen und, sei es durch direkte Maßnahmen, sei es durch die Erzeugung bürokratischen Leerlaufes, die Diktatur zu sabotieren.

D: Die Stärke des Menschlichen

  Jeder der längere Zeit unter einer Diktatur gelebt hat, wird feststellen, daß zwar einerseits das Menschliche einem unablässigen Verfall ausgesetzt ist, daß aber andererseits plötzlich alte, beinahe vergessene Tugenden aufzublühen beginnen: vorzüglich die der Freundschaft. Nichts trägt eine Kampfgemeinschaft besser als eine echte Freundschaft. Da unter einer Diktatur der Widerstand nur in kleinen Gruppen organisiert werden kann, wenn sich eine Organisation nicht überhaupt verbietet, sind Freundeskreise die beste Form – und die dem Regime gefährlichste. Eine öffentlich zugelassene, etwa parlamentarische Opposition ist kontrollierbar, die Illegalität aber entzieht sich dem beobachtenden Blick, doppelt wenn sie in das allen Diktaturen unbehagliche Private untertaucht.

 Das ist, vielleicht, die ausgleichende Gerechtigkeit der Geschichte. Während sich die tödliche Gefahr über den Horizont schiebt, die ganze Welt in ein einziges Sibirien zu verwandeln, läßt sich selbst dort, wo der eisige Atem des Terrors weht, eine Inselbildung des Menschlichen verfolgen, die neue Hoffnung gibt, wo der Untergang schon besiegelt schien.

 Das Wort eines Achtzehnjährigen des erst zum Tode, dann zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilten Hermann Josef Flade, brennt wie eine Flammenschrift über der deutschen Sowjetzone und allen Satellitenstaaten Moskaus:

 „Ich liebte die Freiheit mehr als mein Leben!“

  

(*)Verlag der Parma-Edition, Frankfurt am Main, 1951

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