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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Vor 10 Jahren

 

Ein Volk - eine Mark?

Von Peter G. Spengler

in Studien von Zeitfragen 1 / April 1990

 Wenn nach Ostern die erste frei gewählte Regierung in der DDR ihre Geschäfte aufnimmt, so wird in ihren Bestrebungen das Interesse der sparenden und verdrängenden Klasse der DDR überwiegen. Und vorläufig sonst nicht viel mehr. Auch ein Stück Vereinigung von zwei deutschen Teilen. Nur haben diese beiden Teile auf den ersten Blick gar nicht identische Interessen, obwohl ihre wirtschaftlichen und finanziellen Beweggründe durchaus gleichartig sind. Beide Teile stützen sich auf ganz unterschiedliche Volksvermögen.

 Die »führende Partei der Werktätigen« der DDR hat die Überführung des Volksvermögens in Volkseigentum so gründlich durchgeführt, daß dieses Volk für (sein) Produktiv-Vermögen keine Verantwortung mehr kennt oder übernehmen will. Die »Partei der Arbeiterklasse« hat in der Wahrnehmung ihrer angemaßten »avantgardistischen Vollmachten« der arbeitenden Klasse (bis hin zu den Leitenden im Betrieb) die Verantwortlichkeit so tiefgehend beschnitten, daß auch sie in ihrer Mehrheit nurmehr an die bestmögliche Verwertung des Sparguthabens denken kann.

 Und kaum jemand von den demokratischen Wahlkämpfern und Interessenvertretern (aus West wie Ost) hat es verstanden, etwas anderes anzukündigen oder gar zu versprechen als das, was den kurzsichtigen und eilbedürftigen Erwartungen an künftigen Wohlstand entspricht.

 Dennoch muß der künftige Wohlstand der Deutschen in der DDR erst erarbeitet werden - mit dem heute vorhandenen Volksvermögen, welches eben nicht nur als in Geld bewertbares Vermögen, sondern auch als Vermögen zur wirtschaftlichen Leistung weit geringer ist als das in der heutigen Bundesrepublik Deutschland.

 Gutachten und Empfehlungen der Bundesbank haben kalt und nüchtern auf etwas hingedeutet, was Bürger der DDR nur zu leicht verdrängen, die sich von der Vereinigung mit der BRD und ihrer Währung einen privaten Gewinn versprochen haben: Schulden in Höhe von etwa 260 Milliarden Mark gegenüber der alten Staatsbank lasten noch auf Betrieben und Kombinaten, die nie selbständig wirtschaften konnten und können. So düster sehen die Ergebnisse der »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« aus. Sie müßten jedoch vom Beginn einer Währungsunion an mit allen Produzenten in der Europäischen Gemeinschaft in Wettbewerb treten. Ihre Chancen, sich hier zu behaupten, wären so aussichtlos wie die der Länder der Dritten Welt, die mittels ihrer Schuldenlast von den internationalen Banken und dem Internationalen Währungsfonds erdrosselt worden sind oder noch werden.
Möchte irgendjemand in der DDR diesen Schuldenbetrag zum Kurs von 1:1 bewerten und auf DM umstellen wie seine Sparguthaben und Einkommen? Zwar hätte er dann einen guten Schnitt gemacht, wäre aber wohl sehr bald ohne Arbeit und Einkommen, während die Industriebetriebe des Südens der DDR und Berlins zu Bankrott-Ruinen verkommen würden. - Verlust des Vermögens des Volkes durch Bankrott?

Was tun mit den »Schulden«?

 Selbstredend zwingt sich die Folgerung auf, alle akkumulierten Schulden der Unternehmen gegenüber der ehemaligen Staatsbank abzuschreiben bzw zu streichen. Nun sind es aber genau diese Forderungen, die den Sparguthaben der DDR-Bürger als einzige Aktiva gegenüberstehen, Forderungen, die sich nur um den Preis der Erdrosselung der produktiven Wirtschaft realisieren ließen.
Ob sie es wollen oder nicht, die Bürger der DDR haben ihren jeweiligen Anteil der Verantwortung für das Volksvermögen doch noch geerbt. Am Nachdenken über das Verhältnis von privatem Interesse am Sparguthaben und allgemeinem Interesse an der Entwicklung der wirtschaftlich-produktiven Quellen, aus denen künftiges Einkommen erst erwachsen kann, kommt niemand vorbei. - Das hatten sich übrigens die Gründerväter Marx und Engels nach dem Verschwinden der Kapitalsherrschaft unter Sozialismus auch vorgestellt.

Nachtrag: Ein Volk - eine Mark nach zehn Jahren

 Kein geringerer Autor als Helmut Schmidt hat darauf hingewiesen, daß einer der Hauptverantwortlichen auch für den Irrwitz der Altschuldenregelung der ausgeschiedene Präsident der Bundesbank Tietmeyer war. In einem offenen Brief in der ZEIT vom November 1996 hielt Helmut Schmidt ihm vor: »Sie trugen im Frühjahr 1990 als persönlicher Berater des Kanzlers für Fragen der Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft mit der DDR hohe Mitverantwortung für schwere Fehler und utopische Versprechungen. Müßten Sie nicht heute zugeben, daß die mehr als hundertprozentige Aufwertung der Mark Ost eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch der alten DDR-Industrie war? Oder daß das Versprechen, keinerlei Steuererhöhungen würden nötig werden, bodenloser Unfug war? Und ebenso die Verheißungen »blühender Landschaften« und westdeutscher Löhne im Osten binnen vier Jahren?«