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35. Jahrgang InternetAusgabe 2001
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Globalisierung?
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IWF 1977

Globalisierung?

 

Was verheißt uns die Globalisierung?

Versuch, einen Blick hinter die Schlagwortkulisse zu richten

Von David Hartstein (16. November 1996)
 

 Ohne Medien keine Moden, ohne Zeitungen und Zeitschriften kein Zeitgeist. Begriffe bedürfen als Stichworte und Schlagworte zur Beschäftigung der Öffentlichkeit der verschiedenartigsten Vermittlungen. Die vermittelnden Instanzen erzeugen dabei oft eine virtuelle Wirklichkeit, die nicht allein auf das Medium Fernsehen begrenzt ist.

  Wenn ein Begriff wie die Globalisierung seit etwa einem Jahr bis zur letzten unbedarften Talkshow durchgedrungen ist und sich dahinter, so wollen es die Wortführer zumindest scheinen lassen, ein nahezu epochaler Zwang verbirgt, ist es geraten, die virtuelle Welt der Wahrnehmung vom voluntaristischen Gebrauch zu scheiden. Ein Versuch ist nötig, sich der wenigen anschaulichen und konkreten Äußerungsformen zu vergewissern, in denen für uns die Realität der Globalisierung darstellbar wird.

 Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland hat unter anderem die Aufgabe, durch Reden zu bestimmten nationalen Anlässen zur Sprache zu bringen, was das öffentliche Bewußtsein in Deutschland beschäftigt und in welcher Richtung Fragen und Antworten gesucht und gegeben werden sollten.

  Auf dem 41. Historikertag im September in München ließ er sich zum Thema des künftigen Zusammenbaus der Staaten Europas, des Verhältnisses der Nationalstaaten dazu und zum Nutzen von Lehren aus der Geschichte aus.
Was die Zukunft Europas anbetrifft, so gab er zu bedenken, daß beim Nachdenken über die Gestalt des künftigen Europa nach Schaffung der Währungsvereinigung, der Währungsunion nach den Vorschriften des Vertrags von Maastricht, auch solche Gebilde in Betracht kommen müßten: »das Römische Reich vor Caracalla oder das Britische Empire des 18. und 19. Jahrhunderts, vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation gar nicht einmal zu sprechen.«
Zu den heutigen Weltzuständen ließ sich der Bundespräsident so vernehmen, daß die Globalisierung der Weltwirtschaft eine irreversible Realität sei, was durchaus mit der »Marginalisierung« ganzer Regionen der Erde einher gehen könne.

Der Zwang der Globalisierung und wie man mit ihr Zwang ausübt

 Nach Roman Herzog, und hier spricht er so repräsentativ für die verdrängende politische Klasse wie der berühmte Querschnitt aus den Meinungsumfragen, ist die Globalisierung also eine irreversible Realität, die nicht nur bestimmte Grundannahmen zur Gestaltung des demokratischen und sozialen Nationalstaats als Gemeinwesen in Frage stellt, sondern auch die Unerfüllbarkeit des Strebens nach weltweiter Geltung dieses Verfassungsprinzips bedingt und eine (chaotische und katastrophale) Marginalisierung ganzer (mit Menschen bevölkerter) Regionen der Welt als Folge herbeiführt und erzwingt.

 Eine Globalisierung also, die gar nicht global, und das hieße universell, gilt und sich verwirklicht, sondern offenbar nur aus einer bestimmten Perspektive, deren Besonderheit noch zu beschreiben wäre oder nur in bestimmten besonderen Bereichen, die noch einzugrenzen wären. Etwa eine globale Enteignung? Sehen wir also genauer hin, wo sich denn überhaupt von Globalisierung als Realität sprechen läßt.


Beispiele für globale Entwicklungen:

 Global ist gewiß die heutige Kommunikationstechnologie, die es unter anderem Milliarden Menschen ermöglicht, den tränengerührten Siegern von Atlanta zur gleichen Zeit ins Gesicht schauen;

 global ist gewiß die Vernetzung von »übernationalen« Unternehmen, deren Vernetzung in der Informationsverarbeitung und Datenübertragung das Konstruieren an ein und demselben neuesten Ford-Modell durch Ingenieure in allen nationalen Niederlassungen rund um die Uhr (gleichsam im erdumspannenden Schichtdienst) erlaubt, so daß die Konstruktions- und Vermarktungsintelligenz unablässig beschäftigt ist und schließlich ein global absetzbares Modell am Ende des Prozesses entsteht;

 global ist gewiß die private Kommunikation, die mir erlaubt, von jedem entlegenen Strand der Welturlaubsparadiese auch gleich denen zu Hause zu erzählen, wie wunderschön es doch hier ist;

 global ist selbstredend auch das System der Flugverbindungen, mit denen nahezu jeder wichtige Ort auf dieser Erde mit den Metropolen verknüpft ist;

 global ist auch das Interesse des spekulativen Empirismus auf dem Börsenparkett und in den Medien an der größten Aktienneuausgabe dieses Jahrhunderts, der Einführung der Aktien der Deutschen Telekom an den Börsen von Frankfurt und New York, wovon die Kunde morgen und übermorgen aus allen Medienkanälen zum Publikum dringen wird.

 Aber all diese globalen Ereignisse und Verhältnisse, all diese erdumspannenden Entwicklungen und Aussichten sind nicht das, was mit dem Begriff der Globalisierung als Zwang ausübender Notwendigkeit ausgedrückt, bezweckt und verdrängt werden soll.
Wieso sollten diese »Fortschritte« im Bewegen von Menschen, Sachen und Informationen die Enteignung der Bürger der Staaten Europas von ihren Institutionen, nämlich denen des demokratischen und sozialen Nationalstaates, erfordern?
Wieso sollten diese Fortschritte zu einer »Marginalisierung« von ganzen Regionen führen, führen müssen? In einer Welt, in der ohnehin bereits ganze Kontinente und Halbkontinente marginalisiert sind, genauer über die Grenze zum Verhungern hinausgestoßen worden sind?

 Die Globalisierung, von der unser Bundespräsident, hier ganz repräsentativ, spricht, ist also alles andere als eine Bereicherung. Sie ist keine universelle Verbreitung von Kräften und Vermögen auf unseren Globus, sondern eher eine Konzentration von eben diesen globalen Kräften und Vermögen dort, wo der Weltmarkt seinen Ursprung hat und wo seine Funktionen global gesteuert werden:

 Wenn der Bundespräsident als ein wichtiger Repräsentant des politischen Bewußtseins meint, daß man sich der »irreversiblen Realität« der Globalisierung beugen müsse, zollt er der Gewalt Ehrerbietung, mit der die internationalen Finanzmärkte mit ihren spekulativen Eigentumstiteln einem jeden nationalen Anspruch, der aus den Rechtsverhältnissen und Institutionen von verfaßten Gemeinwesen entspringt, ihre Forderungen aufherrschen.
Er ist selbst ein Opfer des spekulativen Empirismus, der Denkweise, die seit Adam Smith den Freihandel bedingt und begleitet und heute den Prozeß der Enteignung der realen Wirtschaft durch das (fiktive) Finanzkapital global beherrscht.

Spekulativer Empirismus

 Die Kehrseite der globalen Konzentration von Finanzkapital in einem Verbund, der sich rund um den Globus mit den Geschäftszeiten der Devisen-, Wertpapier -, Rohstoff- und Warenhandelsbörsen 24 Stunden lang von einer Kapitalmetropole zur andern dreht, ist die globale Schrumpfung der Märkte für Arbeitskräfte und lebenswichtige Güter. Denn das flüssige Kapital, das sich in der Produktion lebenswichtiger Güter und Dienste nicht mehr profitabel verwerten läßt, wird aus der Reproduktionssphäre der realen Wirtschaft herausgesogen und als neues Geldkapital im globalen Kasino eingesetzt, wo Gewinne versprochen werden, die sich im herkömmlichen kapitalistischen Zyklus von Investition, Amortisation und Gewinn nicht mehr erzielen lassen.

 Aber eben nur versprochen werden, denn in diesem Nullsummenspiel muß es Verluste und Verlierer geben; und die Vernichtung kann nur dann abgewendet werden, wenn in der realen Wirtschaft noch Vermögen vorhanden sind, derer man zur Plünderung habhaft werden und sie in neues Geld und neuen Kredit für die globale Kasinowirtschaft verwandeln kann.

 Was ist dieser Freihandel mit Geld anderes als eine Enteignung der realen Wirtschaft durch Finanzkapital, wenn sich das Verhältnis zwischen dem Gesamtwert des Handels mit Gütern zum Devisenhandel (der unter gewissen Voraussetzungen den gesamten Handel mit Geldkapital umfaßt) schon 1992 auf etwa 1:40 stellte? Das heißt, in den wichtigsten Welthandelsländern ist der Umfang des Devisenhandels zwischen 40 - bis 50mal so groß wie der des Güterhandels. Eine Studie des IFO-Instituts (Wirtschaftsforschungsinstitut in München) stellte 1994 fest:

 »Die Spekulation dominiert heute eindeutig die Umsätze an den Devisenmärkten: Nur knapp 2% der Devisenmarktumsätze sind durch Gütertransaktionen und maximal 10% durch langfristige Kapitalverkehrstransaktionen zu erklären. Die restlichen Umsätze werden aus spekulativen Gründen getätigt.«

  Begonnen hatte diese Verselbständigung des Finanzkapitals in weltweitem Maßstab mit der ersten historischen »Deregulierung« nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich mit der Aufhebung des Abkommens von Bretton Woods und der Freigabe der Wechselkurse zwischen den nationalen Währungen, die bis dahin in einem festen Austauschverhältnis zum Dollar und damit zu allen anderen Währungen die Stabilität des Weltgüterhandels gewährleisten sollten.

 Während seit diesem Ereignis im Jahre 1971 bis 1992 der Güterhandel etwa in den USA um einiges über 300% gewachsen ist, d. h. auf das Vierfache, so ist dagegen der Handel mit Devisen um mehr als 4000% gewachsen. d. h. das 50fache.

Globalisierung ist zuallererst globale Konzentration und Akkumulation von Geldkapital

 Wenn man es also kurz fassen will, so ist die Globalisierung der Finanzmärkte eine riesige Blase heißer Luft. Die irreversible Realität, von der sowohl der Bundespräsident wie alle Medien reden, liegt darin, daß es vor dem Punkt, an dem der Nachschub von neuen liquiden Mitteln aus der realen Wirtschaft versiegen wird, kein Zurück mehr gibt und der Tag nicht mehr lange aussteht, an dem das Kartenhaus dieser globalen Finanzmärkte zusammenfällt.

 Und je geringer das Wachstum der zahlungsfähigen Nachfrage in der Sphäre von Produktion und Reproduktion anwächst, desto mehr greift selbst das produktive (industrielle) Kapital nach den oben beschriebenen globalen Fortschritten der Transport- und Informationstechnologie, um wegen der  schrumpfenden oder nur mäßig wachsenden Absatzmärkte wenigstens auf der Seite der Produktionskosten die Vorteile nutzen zu können, die sich aus der Nutzung von billiger Arbeitskraft im Verbund mit einfach zu bedienenden Produktionsprozessen ziehen läßt.

 Und hier würde auch ein neues Kapitel beginnen. Die Kehrseite des globalen Finanzimperiums, die globale Marginalisierung und Verelendung möchte ich in einer zweiten Folge darzustellen versuchen, worin es darauf ankommen wird, zu zeigen, welche Formen der Vernichtung (und das heißt Vernichtung realen Kapitals nach den Begriffen von Friedrich List) die Globalisierung seit den 70er Jahren hervorgerufen hat.

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